– es ist einige Jahre her, dass ich, ein Fan von Malicks Film Badlands, auch auf eine Publikation von Jennifer Bleek gestoßen bin, die ich zuerst interessiert gelesen habe; dann aber haben mich die Schwächen der Arbeit doch sehr erstaunt und ich habe dazu dann einige Überlegungen angestellt, aus denen eine Art Rezension geworden ist (die sich wiederum auf Lektürenotizen stützt); dieses Textkonvolut von 2011 hole ich aus meiner untergegangenen Website von damals heraus und veröffentliche es hier, im Wesentlichen unverändert, noch einmal in einem Stück:
Zu Jennifer Bleek: Blick und Welt – eine “Drittel-Rezension”
Willi Schedlmayer | 6. Juli 2011
Mit einer gleichnamigen Arbeit Blick und Welt hat Jennifer Bleek 2007 promoviert. Hier zunächst einmal das Zitat der Buchveröffentlichung:
Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, ISBN: 978-3-7705-4788-3
Das Buch ist in drei Teile gegliedert – der erste Teil setzt sich mit dem Spielfilmdebüt von Malick auseinander (Badlands), der zweite Teil mit seinem nächsten Film (Days of Heaven) und der dritte Teil bringt beide Filme mit der „Philosophie von Martin Heidegger“ zusammen.
Ich beschränke mich in meiner Auseinandersetzung auf den ersten Teil des Buches (was mit meiner eigenen Beschäftigung mit Badlands zu tun hat) und nenne diesen Versuch darum eine „Drittel-Rezension“.
Ausführlicher habe ich mich mit den einzelnen Kapiteln an anderer Stelle beschäftigt (siehe dazu die Lektürenotizen weiter unten) – hier nun mein Résumé.
Die Arbeit von Bleek hat so viele Schwächen, dass nicht nur sie als Autorin, sondern auch die akademische Institution, unter deren Aufsicht das Werk entstanden ist, zu kritisieren wären – gleiches gilt für den Verlag, der kein nennenswertes Lektorat geleistet hat. Aber was solls – solche Sachen sehen wir doch überall! Wie wäre es, wenn wir umgekehrt versuchten, das Ganze als gelungenen Spaß zu lesen, als Finte, als Parodie auf den Wissenschaftsbetrieb?
Tatsächlich ist die Form einer Parodie im ersten Teil der Arbeit unübersehbar – und nur um diesen Teil geht es mir ja. Einigermaßen durchgängig nennen die Kapitelüberschriften ein klares Programm, einen strukturalen Ansatz oder gar einen theoretischen (oder sie häufen einfach Begriffe) – was dann kommt, ist jedoch vor allem eine Art Nacherzählung einzelner Episoden. Damit soll gegen diese selbst nichts gesagt sein, in ihr leistet Bleek nämlich ihr Bestes. Sie scheitert gedanklich (gar „theoretisch“) fortwährend – in der genauen Beschreibung einzelner Bildsequenzen ist sie dennoch lesenswert. (Oder hätten wir damit nur wieder die Parodie ernst genommen?)
Sehen wir uns einmal die einzelnen Kapitel an. Zunächst geht es um das Verhältnis von Badlands zu seiner „realen Vorlage“, nämlich der Geschichte des mehrfachen Mörders Charles Starkweather, der Ende der 50er Jahre gemeinsam mit seiner minderjährigen Freundin Caril Ann Fugate für einige Wochen die US-Amerikanischen Medien beschäftigt hat. Einmal nennt Bleek die New York Times (jedoch ohne Datumsangabe) – sonst bleiben ihre Quellen im Dunkeln. Die „reale“ Geschichte ist anscheinend beliebig verfügbar und genauso beliebig zu verkürzen und umzuformen. Wenn Bleek etwa schreibt: „In einer Villa in Lincoln kamen drei weitere Menschen zu Tode“ – dann drückt sie sich hier auch um die Frage, wer die Morde begangen hat. Tatsächlich hat Starkweather später seine Freundin beschuldigt, selbst mehrfach auf die Opfer eingestochen zu haben (und wenn ich hier einfach auf den englischen Wikipedia-Artikel zu Starkweather verweise, ist das schon mehr an Quellenangabe, als Bleek zustande bringt). Dass und in welcher Weise auch Fugate an diesen Morden beteiligt war, wird in Blick und Welt ausgespart – wie überhaupt die „reale Vorlage“ auf die Geschichte des männlichen Mörders reduziert wird. Man könnte zeigen, wie Malick mit der Geschichte von Starkweather & Fugate spielerisch umgeht, Details herausgreift und an ganz anderer Stelle der Chronologie wieder einsetzt – vor allem aber, wie Stoff für seine Geschichte nicht nur aus der realen Vorlage, sondern ebenso aus verschiedenen Filmen und der Literatur kommt. Dass etwa viele Details in Badlands auf den Film Rebel without a cause verweisen, wird bei Bleek schlicht übersehen. Sie beginnt das Kapitel mit einer „Inhaltsangabe“, die naiver Unsinn ist – und stellt am Schluss fest, dass in Badlands die „sozialen Verhältnisse“ nicht zum Thema werden (was so einfach falsch ist). Dazwischen widmet sie sich ausführlich der Exposition des Films – dabei macht sie durchaus genaue Beobachtungen, verliert sich aber auch in nebulosen Begriffen (verträumte Mädchenwelt, Liebes- und Todesahnung), die wenig mit dem Film zu tun haben.
Das zweite Kapitel handelt von der Genrezugehörigkeit des Films Badlands und vergleicht ihn mit anderen Filmen eines „Subgenres“ zum Gangsterfilm, dem „Paar auf der Flucht“. Klassiker wie die Filme You Only Live Once von Fritz Lang, They Live by Night von Nicolas Ray und Gun Crazy von Joseph H. Lewis werden dabei als „amerikanisches Illusionskino“ kleingemacht, um den Film von Malick dann davon abzuheben. Obwohl Bleek genau weiß, das Malick Bonnie and Clyde gekannt hat, übersieht sie, dass er in Badlands eine zentrale Stelle des Films von Arthur Penn direkt zitiert. Mir unverständlich ist auch, warum Bleek in diesem Zusammenhang nicht auch die Filme mit einbezieht, die sich in den 90er-Jahren mehr oder weniger direkt auf Badlands beziehen (True Romance und Natural Born Killers) oder das gleiche Genre fortschreiben (Wild at Heart).
Das dritte Kapitel handelt von Bild und Ton in Badlands. Bleek zitiert zwar interessante Literatur, kann aber mit den dort gefundenen Begriffen nicht wirklich umgehen. So bringt sie den Terminus der Diegese herein und beschäftigt sich ausführlich mit der (nicht diegetischen) Musik in Badlands, ohne zu berücksichtigen, dass es auch diegetisch legitimierte Musik in diesem Film gibt (wenn die Figuren zu Radiomusik tanzen). Intensiv setzt sie sich mit einzelnen Sequenzen auseinander – dennoch bleibt der Eindruck, dass sie wichtige Zusammenhänge einfach nicht begreift.
Das vierte Kapitel verspricht gar eine „Theorie des Tons“ in Badlands. Tatsächlich wird aber wieder vor allem eine Episode im Film beschrieben.
Im fünften Kapitel geht es um Landschaft – und christliche Ikonografie. Naturgemäß zusammengebracht wird beides in den „Bildern des Himmels“. Zur Landschaftsdarstellung bei Malick gibt es ja durchaus Literatur – Bleek scheint sie nicht zu kennen. Der Verweis auf christliche Bildmotive macht ihre Interpretation des Films nicht überzeugender – es ist ein schwaches Kapitel.
Im letzten Kapitel verblüfft uns die Autorin mit einem (nicht ausgewiesenen) Handkezitat: Das Gewicht der Welt. Oder ist es vielleicht gar nicht Handke, auf den sie sich kryptisch bezieht? Es gilt wie immer die Parodie-Vermutung. Sie beschreibt jedenfalls vor allem die letzte Episode des Films – nun erwarten wir ja auch nichts anderes mehr. Und siehe: es wird alles gut. Sie findet in einen parataktischen Stil hinein, der wunderbar ist – einfach und gut. Die reine Anschauung! Ein paar gedankliche Fehltritte vermögen dem nichts mehr anzuhaben.
Ich meine es gar nicht ironisch: in der genauen Bildbetrachtung gibt es eine Art Progression in der Arbeit von Bleek – von der völlig unzulänglichen „Inhaltsangabe“ zu Beginn über ein Herantasten an ein Nacherzählen bis zu den Parataxen des Schlusskapitels, in dem sie eine gelassene Distanz der Anschauung hält. Damit ist es in einer wissenschaftlichen Arbeit aber naturgemäß noch nicht getan. Was jedoch den reflexiven Teil der Dissertation betrifft, ist von einer Verbesserung im Textverlauf leider keine Rede.
Bleek versucht ja, etwas auf den Punkt zu bringen – in Kontingenz und Konvention etwa. Nur stimmt es dann hinten und vorne nicht. Tatsächlich wird Kontingenz zum Thema in Badlands – aber wenn dann eine „Ahnung von Kontingenz“ (Blick und Welt, p. 64) hereinkommt, verschwimmt schon wieder alles. Die „Ahnung“ erweist sich überhaupt als verhängnisvoller Begriff – Liebes- und Todesahnung, Ahnung von Kontingenz: der begriffliche Weichzeichner bringt allemal eine gedankliche Unschärfe herein. Die Konvention gar muss für alles herhalten – bis hin zur Umschreibung von Motiv als „narrativer Konvention“ (Blick und Welt, p. 36). Der Weichzeichner wird auch im Blick auf die Protagonistin eingesetzt – mädchenhafte Mädchenwelt und das Mädchen als Erzählerin. Dabei ist es eine verheiratete Frau, die erzählt! Viele Formulierungen wirken merkwürdig deplatziert (Vorschein des Göttlichen im Endlichen, Blick und Welt, p. 68) oder sind als Bild schief (Zwischenraum zwischen Kontingenz und Spur, Blick und Welt, p. 77). Noch ein Zitat:
Das Gewicht der Welt und die sie durchdringende Kontingenz werden wahrnehmbar durch das Ende der männlichen Figur. Es geht um das Schicksal von Kit; es geht um die Frage, wo die Instanz ist, die dieses Leben so zu Ende gebracht hat. Die Staatsmacht beantwortet nicht die Frage, wer eigentlich das Schicksal der Figuren lenkt. Und auch eine göttliche lenkende Macht ist nicht erkennbar. Kit erscheint als jemand, der der Welt abhanden gekommen ist, ohne dass es dafür eine Erklärung gäbe. (Blick und Welt, p. 79)
Diese Massierung von Phrase, Worthülsen und Unsinn ist schwer erträglich für mich. Wo nimmt Bleek denn auf einmal diese Frage nach dem „Schicksal“ des männlichen Protagonisten (Kit) her? Wieso ist es so rätselhaft, dass er, der zum Tode verurteilt wird, der Welt abhanden kommt? Ein Serienmörder stellt sich, wird verurteilt und hingerichtet – das ist kein unerklärlicher Zusammenhang.
Bleibt die Frage für mich, für wen die Lektüre von Blick und Welt ein Gewinn sein könnte. Wer Englisch lesen kann, wird in der amerikanischen Literatur zu Malick Texte auf ganz anderem Niveau finden. Wer die ausführliche Beschreibung vieler Bildsequenzen in Deutsch sucht, wird bei Bleek fündig – wissenschaftliche Ansprüche stellt man besser vor der Lektüre beiseite.
Hier zu meinen Lektürenotizen zu Blick und Welt:
Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
Wie sich im Spannungsverhältnis zwischen Kontingenzbewusstsein auf der einen und Bindung an Konventionen auf der anderen Seite so etwas wie eine ästhetische Subjektivität in diesem Film konstituiert, darum kreisen die folgenden Überlegungen. (Blick und Welt, p. 13)
Wäre das Kontingenzbewusstsein Malick zuzuordnen – oder seinen Figuren? Über wessen ästhetische Subjektivität schließlich kann mit Fug geredet werden? Ich werde darauf noch einmal zurückkommen – im Vergleich zu Arthur Penns Bonny and Clyde meint Bleek hier jedenfalls abschließend:
in Malicks Film sind die Konventionen stärker als die Sehnsüchte und der Freiheitsdrang der Figuren. (Blick und Welt, p. 14)
Ich bin mir da nicht so sicher, finde es aber jedenfalls beachtlich, wie hier jemand Sätze formuliert, deren Gegenteil zumindest einer Überlegung wert ist.
Nebenbei gesagt, Bleeks stilistische Marotte, mit “zwar” einen Satz aufzubauen .. und die Einschränkung kommt dann erst im nächsten Satz (.. zwar .. Punkt. Aber ..) finde ich nervig.
I. Reale Vorlage und Filmische Umsetzung (p. 15-24)
Bleek beginnt dieses erste Kapitel mit einer „Inhaltsangebe von Badlands“. Wie naiv dieser Ansatz ist, zeigt sich sehr schnell:
Als sich der Vater des Mädchens, der für seine Tochter auf Höheres hinauswill, gegen die Beziehung stellt, schießt Kit ihn nieder und flüchtet mit Holly. (p. 15)
Das ist so als „Inhalt“ schlicht falsch. Zwar stellt sich der Vater gegen die Beziehung, Kit erschießt ihn aber nicht einfach deshalb. Kit dringt ja in das Haus ein, wo Holly mit ihrem Vater wohnt und packt einen Koffer mit Sachen des Mädchens (man ahnt, dass er mit ihr davon will). Dabei wird er dann vom Vater überrascht, der sich auch vom Revolver des jungen Mannes nicht beeindrucken lässt. Er will ihn vielmehr dem Gesetz („the authorities“) überantworten und lässt sich auch durch einen Warnschuss nicht aufhalten. Da erschießt ihn Kit mit zwei Schüssen.
Die Situation, in der dieser Mord passiert, ist freilich noch um einiges komplizierter, es ist eine der Schlüsselszenen für den ganzen Film – hier muss es genügen, darauf hinzuweisen, dass in dieser Verkürzung auf einen „Inhalt“ und in dieser syntaktischen Darstellung (als der Vater .. schießt Kit ihn nieder) eine Verfälschung vorgenommen wird.
Ähnliches ließe sich auch an den nächsten Sätzen dieser „Inhaltsangabe“ zeigen:
Das junge Paar lebt tagelang in de Wildnis, flieht quer durch Dakota in die wüsten Badlands im Grenzgebiet des Staates Montana und legt zunächst alle Vefolger um. Erst als diese übermächtig werden, gibt Holly auf, und nach einer Verfolgungsjagd lässt sich auch Kit festnehmen. (p. 15)
Es ist nicht das Paar, das alle umlegt, es ist Kit, der schießt – zuerst auf Kopfgeldjäger (das sind wirklich drei Verfolger, die erschossen werden), dann aber auf seinen ehemaligen Arbeitskollegen (den er in den Rücken schießt – weil er in Richtung seines Autos geht? Weil er die Polizei holen könnte?) Und gleich danach auf zwei junge Leute, die ihm vielleicht als Zeugen lästig werden könnten – es bleibt vage. Die Verfolger jedenfalls sind bald Legion (Polizei, Nationalgarde, Privatdetektive) – und werden keineswegs umgelegt, vielmehr flüchtet das Paar im Weiteren in Richtung „Badlands“. Holly gibt nicht auf, weil die Verfolger übermächtig sind, sondern weil sie nicht mehr mit Kit weiter flüchten will („I just don’t want to go“, sagt sie zu ihm).
Eine „Inhaltsangabe“, in der kaum ein Satz nicht am Film vorbei geht.
1. Reale Vorlage
Obwohl im Nachspann des Films von Malick darauf hingewiesen wird, dass alle Figuren fiktiv sind, sind die Parallelen zum Mehrfachmörder Starkweather und seiner minderjährigen Freundin Caril Ann Fugate unübersehbar.
Methodisch untadelig nimmt Bleek sich vor:
Um festzustellen, welche künstlerischen Entscheidungen Malick bei der filmischen Umsetzung des Stoffes getroffen hat, ist es notwendig, sich die reale Vorlage zunächst genauer anzusehen. (p. 15)
Eigenartig, dass ein kleiner Blick in Wikipedia genügt, um ein Detail in der “realen” Geschichte zum Vorschein zu bringen, das in “Blick und Welt” übersehen wird. Im Artikel zu Starkweather heißt es:
Am 28. Januar 1958 ging er zum Haus seiner Freundin Caril Ann Fugate (* 1944) und begann einen Streit mit ihren Eltern. Daraufhin erschoss er die beiden und erwürgte Caril Anns zwei Jahre alte Schwester. Caril Ann saß derweil tatenlos vor dem Fernseher. Starkweather versteckte die Leichen an verschiedenen Stellen außerhalb des Hauses. Caril Ann und er blieben zwei weitere Tage im Haus und schickten Besucher unter dem Vorwand weg, dass alle die Grippe hätten. Caril Anns Großmutter aber schöpfte Verdacht und rief die Polizei. (http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Starkweather)
Es ist zumindest nicht uninteressant, dass im Film an anderer Stelle dieses Motiv der vorgetäuschten Grippe wieder auftaucht (als Kit einen Besucher, der zum “reichen Mann” will, abwehrt). Man könnte zeigen, wie Malick im Film mit “realen” Motiven “spielt”. Aber ein bissl “genauer” muss man halt hinsehen dafür.
Bleek versucht, die “reale Vorlage” kurz zu umreißen. Wie dürfen wir es aber verstehen, wenn sie mehrfach hervorhebt, dass in Bezug auf Starkweather und Fugate vom Aussehen der jungen Menschen nicht auf das “Böse” in ihnen oder die “kriminellen Absichten” zu schließen ist? Ist es notwendig, Lombroso noch einmal zu widerlegen? Was mir in diesem Kapitelchen vor allem fehlt, ist ein Bewusstsein davon, wie sehr das, was die historischen Figuren getan haben, selbst narrative Zusammenhänge generiert hat und nur über solche zu erfassen ist. Die Figuren werden – bis in Pop-Songs und in Verfilmungen hinein – schon von den ersten Radio- und Zeitungsberichten an – zu einer Legende. Nach einer wackeligen “Inhaltsangabe” ein allzu unproblematisches Herangehen an die historischen Figuren.
2. Filmische Umsetzung
a. Kit Carruthers
Er trägt, schreibt Bleek,
in einer rebellischen Attitüde auch im Job nicht die offizielle Arbeitskleidung, sondern wie die Kultfigur Dean ein weißes T-Shirt, Jeans und Cowboystiefel. Wegen dieser Aufsässigkeit verliert er wenig später seinen Job. (p. 17)
Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Kit trägt wie sein Arbeitskollege Cato Arbeitshandschuhe und hat einen Lederschurtz über seine Kleidung vorgebunden. Auch Cato hat außer diesen Arbeitsutensilien normale Kleidung und Schuhe an – und meines Wissens wird im Film nicht erklärt, warum Kit seine Arbeit verliert (eigenartiger Weise fehlt im Skript genau die Szene, in der Kit die Kündigung bekommt – wurde sie ohne Script gedreht? Keine Ahnung).
Es ist schade, dass sich Bleek so gut wie gar nicht mit dem Aussehen der Filmfiguren im Verhältnis zu dem der “realen” Vorbilder auseinandersetzt. Vor allem in den historischen Filmaufnahmen verblüfft mich die Härte, die bei beiden jungen Leuten vorscheint, besonders Fugate sieht viel älter aus als sie ist – und Starkweather wirkt betont kantig (was auf manchen Fotos aber auch wieder zurücktritt). So entsteht eine paradoxe Sitation: Die Filmfiguren sollen älter sein als die realen Vorlagen (Holly 15 – Kit 25), die Schauspieler sind noch einmal deutlich älter (Spacek 22, Sheen 32) – und in den historischen Aufnahen sehen die Figuren, die realiter viel jünger sind (Fugate 14 und Starkweather 19), älter aus als die Filmfiguren.
b.Holly Sargis
Die Figur im Film beschreibt Bleek ohne nochmaligen Bezug zu Caril Ann Fugate.
3. Vergleich zwischen realer Vorlage und filmischer Umsetzung
Ich paraphrasiere nur einige Zusammenhänge und Gegensätze:
Starkweather arbeitet bei der Müllabfuhr, er verliert seine Arbeit. Zwei Monate nach einem ersten Mord erschießt er die Mutter seiner Freundin und deren Stiefvater, er erwürgt die kleine Schwester seiner Freundin.
Kit arbeitet bei der Müllabfuhr, er verliert diese Arbeit. Später erschießt er den Vater seiner Freundin, die bereits Halbwaise war.
Für die Episode im Wald am Fluss gibt es anscheinend keine Entsprechung in der “Vorlage”.
Starkweather ersticht auf einer Farm einen alten Bauern und erschießt zwei junge Leute. (Hab ich das richtig auf die Reihe gekriegt? Nur ein bissl im Internet geschaut.)
Bleek erwähnt nirgends die auffallende Abweichung, dass Kit alle seine Opfer erschießt, während Starkweather, der auch ein Kind erwürgt, auf seiner Flucht seine Opfer mehrfach auch mit dem Messer attackiert. Kit tötet insofern distanzierter (die Tatwaffe ist durchgängig Revolver und Gewehr). Kit tötet nicht einen Bauern, sondern seinen ehemaligen Arbeitskollegen Cato. Er schießt auf zwei hinzukommende junge Leute (ob sie tot sind, bleibt unklar).
Starkweather ermordet den Präsidenten der Stahlwerke in Lincoln in seiner Villa, zugleich seine Frau und die schwerhörige Haushälterin. Er schreibt eine Art Geständnis, das grammatisch unzulänglich ist. Er plündert das Haus des Präsidenten und flieht gemeinsam mit Fugate mit dessen Auto, einem Packard.
Den “reichen Mann” tötet Kit nicht – seine Haushälterin ist taub. Was er in ein Diktaphon spricht, ist kein Geständnis, aber er entschuldigt sich für die Grammatik. Mit einem der Autos des reichen Mannes (einem Cadillac) flüchtet er mit Holly weiter.
Ein Sheriff sieht Starkweather, der mit einem anderen Mann um die Gewalt über einen Revolver ringt. Als er anhält, springt Fugate in seinen Wagen, Starkweather flüchtet im Auto. Dieser gibt aber auf, als er durch einen Glassplitter einer zerschossnen Autoscheibe verletzt wird. Er wird festgenommen, verurteilt und hingerichtet. Fugate wird zu lebenslanger Haft verurteilt, 1976 aber wieder freigelassen.
Holly will nicht mehr mit Kit weiter flüchten und ergibt sich der Polizei. Kit stellt sich nach einer Vefolgungsjagd mit dem Auto, ohne vorher verletzt worden zu sein. Während Holly später wieder freigeht, wird Kit verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.
Anders als Bleek meine ich, dass Malick wesentlich von der “realen Vorlage” abweicht, um seine Ezählung zu konstruieren. Ganz besonders gilt das für die Figur der Holly, die als Erzählerin ja besonderes Gewicht hat. Umgekehrt könnte man sagen, dass Malick mit Bezügen zur “wahren” Geschichte “spielt” und Details in seine eigene zum Teil an ganz anderen Stellen der Abfolge einbaut.
4. Die Exposition von Badlands
Wieder weist Bleek darauf hin, dass den Fotos von Starkweather und Fugate nicht anzusehen ist, was sie getan haben! (p. 19 f.)
a. Subversion der konventionellen Wahrnehmung
Nicht die Banalität des Bösen, sondern “die Unheimlichkeit des Gewöhnlichen” konstatiert Bleek (p.20) und spricht hier auch vom “negativen Klang” des Titelbegriffs Badlands. Relativ genau beschreibt sie die erste Einstellung des Films, besonders deren Kamerabewegung und das Interieur.
Um meine Polemik nicht allzusehr zuzuspitzen, riskiere ich meine eigene Sicht dieser ersten Minute des Films.
Erst einmal: Nach dem Signet der Warner Bros beginnt der eigentliche Film mit schwarzer Leinwand. In dieser Finsternis erklingt Musik und in einer Aufblende sehen wir: Ein Mädchen sitzt im Bett und tändelt mit einem riesigen Hund vor ihr. Das Zimmer ist nur vom Fenster her beleuchtet und schummrig. Aus dem Off ertönt eine weiblich Stimme, die vom Tod ihrer Mutter erzählt und davon, wie der Vater mit seiner Tochter übersiedelt, um aus diesem Umfeld von traurigen Erinnerungen heraus zu kommen – von Texas nach Fort Dupree, South Dakota. Eine Abblende führt die Einstellung zur Dunkelheit zurück, im Ton und durch die Musik wird aber zugleich eine Verbindung zu den nächsten Einstellungen hergestellt. Wenn wir dann Außenaufnahmen sehen (ruhige Straßen einer Kleinstadt oder Vorstadt), sind wir bereits mehrfach orientiert. Wir wissen, wo wir sind (zumindest South Dakota ist bekannt) und wir kennen eine weibliche Figur (noch namenlos), die vermutlich zugleich die Erzählerin ist (obwohl viele zeitliche Hinweise gegeben werden in den paar Sätzen ist nicht ganz klar, aus welcher zeitlichen Distanz sie spricht). Von Anfang an sehr dicht, würde ich sagen (die Sache dauert nicht einmal eine Minute) – und da ist noch was: diese Zärtlichkeit mit dem riesen Hund hat was von einer unbefriedigten Sehnsucht – und die Kamerabewegung, in der sie gezeigt wird, unterstreicht das noch: wie das Mädchen (die junge Frau) mit weit gespreizten Schenkeln dasitzt und den Hund streichelt .. zuerst sehen wir sie von der Seite, dann aber vom Fußende des Bettes her – wie sie sich zurücksinken lässt, die Beine bleiben gespreizt – und für Augenblicke ist das Tier wie der Schemen eines Liebhabers, zu dem sie hinblickt, den sie zu sich ziehen will, dem sie sich an den Hals wirft. Jetzt aber ist es Zeit, wieder Bleek zu zitieren, die von diesem Aspekt nichts weiß .. und ihn doch zu beschreiben scheint:
Durch diese Unterminierung unserer gewöhnlichen Wahrnehmung wird eine Art Wachtraum erzeugt. Es ist, als ob man als Zuschauer in Hollys verträumte Mädchenwelt hineingezogen wird. (p. 21)
b. Liebes- und Todesahnung in der ersten Begegnung von Holly und Kit
Ausführlich werden hier bei Bleek die nächsten Einstellungen geschildert – es genügt mir aber nicht, nur auf ihren Text zu rekurrieren.
Wie ich bemerkt habe, wissen wir, wo wir sind (in einer Stadt in South Dakota – aber wissen wir, wo Fort Dupree ist? Vielleicht handelt es sich um Dupree in der Nähe von Rapid City). Ruhig sind die Straßen an diesem Sommertag zunächst. Wenn dann der Müllwagen um die Ecke biegt, ist es bald vorbei mit der Ruhe – ganz nahe sind wir dran an dem Lärm der Maschinen und der Arbeit .. und die Müllarbeiter geben sich gar keine Mühe, leise zu sein. Kit, der Bursche, der aussieht wie James Dean, wird eingeführt als arbeitender Mensch. Das muss hervorgehoben werden, weil Arbeit (bzw. die Schwierigkeit, eine sinnvolle Arbeit zu finden) weiterhin für Kit eine Rolle spielt – und weil die Thematisierung der Arbeitswelt, besonders auch der schweren Arbeit, ein Charakteristikum der frühen Filme von Malick ist. Kit wird als Arbeiter gezeigt – er tut seinen Job, aber er taugt ihm nicht. Verdeutlicht wird das auch durch eine Serie von solzialer Ablehnung, die er erfährt. Er macht einen Witz – und blamiert sich, weil er einen toten Hund für einen Collie hält (aber es ist kein Collie, dadurch verpufft der Witz). Er will eine Zigarette schnorren, kriegt aber keine. Er möchte ein Paar Schuhe verkaufen, das er findet, es gelingt nicht. Er schmeißt dann die Arbeit hin – oder ist das nur seine Art, das Ende des Arbeitspensums als eigene Entscheidung auszugeben? Vielleicht aber hat seine Kündigung später damit zu tun, es wird nicht ganz deutlich.
Eingeschnitten wird Holly, die Baton twirling übt und dabei über die Straße tanzt. In voice-over hören wir ihre Erzählerinnenstimme: “Little did I realize that what began in the alleys and back ways of this quiet town would end in the Badlands of Montana.” Was hier erzählend bedeutet wird, hat noch gar nicht begonnen – es ist ihre Geschichte mit Kit, mit dem sie in den Straßen der Stadt spazieren wird – dem sie dann aber an einem bestimmten Punkt der Geschichte nicht mehr weiter begleiten will (es ist nicht in den Badlands und auch nicht in Montana, aber an der Grenze dazu).
Subtil analysiert Bleek, wie die Titel-Einspielung symbolisch mit den Figuren verwoben wird (ich wollte es ihr zuerst nicht glauben): Während Kit den Stiel eines Mobs balanciert, werden die Namen der Schauspieler eingeblendet. Als dann der Name von Sissy Spacek erscheint (die ja Holly spielt), verliert Kit die Balance und der Mob fällt herunter. Bleek deutet das als “schlechtes Omen”. Besser finde ich, einfach festzuhalten, dass hier offensichtlich der Balance-Velust semantisch hereingebracht wird. Merkwürdigerweise übersieht sie dann, dass danach der Namen von Warren Oates erscheint, der Hollys Vater spielt: Kit kickt eine Blechdose – und als der Name wieder ausgeblendet wird, sieht er sich um (als täte er was Verbotenes) und tritt die Dose flach – es ist eine starke, aggressive Geste – dann schlägt er die deformierte Dose mit der Schuhspitze weg. Erst in dieser Rekurrenz wird das Strukturelement wirklich signifikant, es scheint so, als hätte Malick hier ganz bewusst Aspielungen auf die Figurenkonstellation mit einbaut.
Was die Einblendung des Titels Badlands betrifft, ist eine negative Konnotation von “bad” genauso wie die Denotation “Badlands” (als unwirtliches Land) natürlich da, der Titelbegriff rekurriet aber bereits auf die erzählerische Vorausdeutung und gehört, wie das Bild, in dem der Titel erscheint, zeigt, zur gemeinsamen Geschichte derer, die sich in diesem Moment begenen. Badlands ist vor allem ihre gemeinsame Geschichte.
Bleeks Interpretation der Farbe Rot in diesen ersten Filmminuten und ihre Darstellung des vermeintlich Ominösen überzeugt mich nicht besonders, wieder kommt mir vor, sie übersieht in diesen Einzelheiten wichtigere Zusammenhänge. Liebesahnung, ehrlich, was soll das, nein, Todesahnung: auch nicht – davon ist doch nicht zu reden in der Exposition, auch wenn ein toter Hund vorkommt.
Was mich vielmehr elektrisiert hat, ist dieser erste Blick von Kit auf Holly. Es ist ein beutemachender Blick (und wie er sich dann umsieht, als müsste er sich vergewissern, dass ihn niemand sieht bei dem, was er jetzt angeht). Zugleich irritiert mich ein Detail, das weiße T-Shirt, das nicht immer so weiß ist. Als Kit sie zuerst sieht, hat er ein blütenweißes T-Shirt an, man sieht es genau. Die nächste Einstellung, in der er von hinten zu sehen ist, wie er zu ihr geht, zeigt deutliche Verschmutzungsspuren auf dem Rücken, was verständlich ist, weil er ja von der Müllarbeit kommt. In der nächsten Einstellung, die ihn wieder von vorne zeigt (vorher ist eine von Holly eingeschoben), ist das Hemd nun auch auf der Vorderseite deutlich verschmutzt. Was machen wir mit so einem Detail? Handelt es sich einfach um einen Regiefehler? Sollen wir dem “übertragene Bedeutung” zumessen (“schmutzige Gedanken”, die auf dem Reinweiß des Shirts erscheinen?). Als sie dann ihren ersten gemeinsamen Gang machen in einer der Alleen, ist sein Hemd wieder rein. Ich will mich nicht weiter aufhalten damit.
Bedeutsam erscheint mir noch, wie Kit sich Holly gegenüber gleich zu Beginn als jemand vorstellt, der etwas zu sagen hat (“I got some stuff to say”) und sich insofern von anderen abheben will (“Most people don’t have anything on their minds, do they?). Er will sich vielleicht nur aufspielen vor Holly – das Motiv wird dann aber mehrfach aufgegriffen (wenn er eine Platte bespielt, in ein Diktaphon spricht). Vielleicht komme ich darauf noch zurück. Kit glaubt, dass er etwas zu sagen hat – was wir vor allem hören ist, wieer redet (zuvor etwa sagt er zu Cato: “he don’t talk much”).
c. Die Besonderheiten von Malicks Blick auf die Vorlage
Die soziale Dimension erscheint in der Exposition des Film nahezu eliminiert. (p. 24)
Im Gegensatz zum Befund von Bleek will mir scheinen, dass im ersten Teil des Films gerade diese Dimension präzise herausgearbeitet wird. Dazu gehört vor allem, dass die soziale Integration von Kit als fortwährendes Scheitern beschrieben wird. Gleich in den Eingangssequenzen erlebt er mehrfache Ablehnung (siehe oben) und er steht als Schulabbrecher da. Holly bedeutet ihm, dass er als Müllarbeiter nicht die Beziehung ist, die ihr Vater sich für sie wünscht (und Holly verleugnet ihn auch sogleich ihrem Vater gegenüber und verheimlicht ihm dann, dass sie Kit weiter trifft). Kit verliert seine Arbeit als Müllarbeiter und kann bei der Arbeitsvermittung eigentlich keine Qualifikationen vorweisen. Er bekommt einen Job auf einer Rinderfarm, die Arbeit wird als Entfremdungszusammenhang markiert. Hollys Vater lehnt ihn brüsk ab, als er sich ihm vorstellt. Es wird deutlich, dass unser junges Paar keinen Platz für seine Beziehung hat. Der Vater Hollys, der ihr Verhältnis zu Kit entdeckt, bestraft die Tochter, indem er ihren geliebten Hund erschießt – und er verdonnert sie zu Musikunterricht. Kit beabsichtigt dann (anscheinend ohne mit Holly darüber zu sprechen), mit seiner Freundin heimlich zu fliehen. Er wird vom Vater beim Einbruch in sein Haus ertappt und muss mit einer Verhaftung rechnen. Da schießt er ihn nieder. Damit wären wir freilich bei Zusammenhängen, die für Bleek nicht mehr zur Exposition gehören, aber ohne Zweifel die Relevanz einer “sozialen Dimension” für den Film belegen.
Der Name Carruthers. Kit stellt sich Holly auch mit seinem Familiennamen vor, der ihm nach “druthers” klingt. Zu “druthers” gibts einen Wikipedia-Eintrag – trotzdem ist mir der genaue Sinn dieser Szene nicht ganz klar. (Vgl. http://en.wiktionary.org/wiki/druthers). Jedenfalls ist es die einzige Mal, dass Kit von seiner Familie und seiner Kindheit spricht (der Familienname mit seiner Konnotation als Last, für die er nicht kann).
Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., EUR 34.90 / CHF 47.90. ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
Hier nun zum zweiten Kapitel:
II. Modelle aus der Genretradition: „Paar auf der Flucht“ (p. 25-38)
Wie funktioniert eigentlich eine Genretradition? Ein komplexes Thema, ziemlich anspruchsvoll. Wer über Genre oder Genrezugehörigkeit redet, muss ein Ensemble von Werken überblicken, am besten gleich noch in Hinblick auf seine Rezeption, und jeweils auch das eine in Frage stehende Werk formal und inhaltlich begreifen, es verstehen und interpretieren. Es geht nicht so sehr darum, ein Werk irgendwo einzuordnen, sondern um ein Erfassen der vielfältigen und wechselseitigen Beziehungen zwischen Einzelwerken.
Genrefilme zeichnen sich bekanntlich durch Wiederholung und Variation bewährter Figuren- und Handlungsmuster aus. (p. 25)
So weit so gut.
1. Bestimmung des Genres von Badlands
Hier beginnen die Schwierigkeiten – denn offensichtlich ist dieser Film nicht einem einzigen Genre zuzuordnen, weder dem Road-Movie, noch dem Western, noch dem Gangster-Film, aber er gehört auch einem Sub-Genre an:
2. Subgenre des Gangsterfilms: „Paar auf der Flucht“
Vier Filme werden analysiert, “in denen sich die Genrekonventionen am klarsten zeigen” (p. 26).
a. Fritz Lang, You only live twice (USA 1936/37)
Das filmische Bild löst sich in der Dramatik des Plots förmlich auf. Der Zuschauer taucht ganz in die Narration des Films ein. (p. 28)
Es scheint mir bedenklich, wie Bleek Langs Film als Beispiel des “amerikanischen Illusionskinos” abstempelt und Malick davon abheben will.
b. Nicolas Ray, They live by Night (USA 1948/49)
Die Bilder fügen sich bis zum Showdown am Ende der Losung des amerikanischen Illusionskinos, nach der sich Verbrechen für die Täter nicht lohnen dürfen. (p. 30)
Die Losung als Illusion – ein Osterhasen-Trauma. Und es ist keine amerikanische Illusion allein, dass Verbrechen sich für die Täter nicht lohnen darf. Aber wie gesagt: die Meisterwerke des Film Noir unter Illusionskino zu summieren hilft bei Genre-Überlegungen nicht wirklich weiter.
c. Joseph H. Lewis, Gun Crazy (USA 1950)
Trotz der Verschiebung der narrativen Gewichtung in
Gun Crazy folgt die Entfaltung des Dramas auch hier den Konventionen des klassischen Illusionskinos. (p. 30)
Haben wir etwas anderes erwartet? Dennoch mag man bald nicht mehr glauben, wie sich die Einfalt wiederholt:
Ohne über die filmische Qualität der Filme im Einzelnen zu urteilen, kann man sagen: Ihre Bilder fügen sich den Vorgaben des klassischen amerikanischen Illusionskinos, dessen Konventionen sie verpflichtet sind. (p. 31)
Wer eine andere Sicht gewinnen will, braucht sich nur die Filme anzusehen – oder einen Blick in die Literatur zu tun. Ich zitiere hier eine kleine präzis-enthusiastische Arbeit von Arturo Silva zu Gun Crazy:
A young couple on the run seems to create its own aesthetic, and in this case, the story of Bart and Laurie is no ordinary narrative, more rather a succession of insistent images, pure intensities – performances, looks, dialogs, and clinches. Bart and Laurie create their world, and they explode it in a death coda fittingly set in a savage and poetic landscape. (Arturo Silva: Gun Crazy: Cinematic Amour Fou. In: Film Criticism, Vol XXXIII, No 1, Fall 2008, p. 1-19, hier p. 2)
3. Arthur Penns Bonny and Clyde (USA 1967) und Badlands
Malick kannte den Film von Arthur Penn als er sich an Badlands machte, schon darum kommt diesem Werk ein besonderer Stellenwert zu.
Bleek vergleicht einzelne Szenen – und übersieht eine wesentliche Entsprechung.
Zuerst bezieht sie sich auf die Szene, in der Clyde Bonny seine Waffe zeigt und diese den Revolver und seinen Lauf befingert – man versteht sofort die erotische Komponente dessen, was man sieht.
Die Gefühle der Protagonisten werden nicht nur auf einer narrativen Ebene vermittelt, sondern es wird hierfür auch eine entsprechende visuelle Grammatik gefunden, die den Zuschauer in Identifikationsprozesse hineinzieht. (p. 33)
Wieder einmal scheint mir Bleek auf der falschen Fährte zu sein. Es geht hier vorrangig nicht um Identifikation, eher um Desillusionierung. Die Begegnung von Bonny und Clyde ist von vornherein (auch durch die Szene oben) erotisch aufgeladen. Wir verstehen aber erst im Lauf des Films, was erotische Symbolik und Sublimation für die Figuren bedeuten, schließlich wird Clyde ja als schwer gehemmter Typ vorgestellt, der die Verführung von Bonny abwehrt und erst kurz vor dem Ende des Films (und seines Lebens) Sex mit ihr hat. Diese Szene, bzw. eben das Gespräch “danach”, unterschlägt uns Bleek aber – obwohl Malick, wie sich zeigen wird, direkt Bezug darauf nimmt.
Die Szene in Bonny and Clyde (schon gegen Ende des des Films) beginnt mit einer Einstellung auf das Gesicht von Bonny, die im Gras liegt. Clyde knöpft sich gerade sein Hemd zu, wir verstehen, es ist “danach”. Er fragt Bonny: “Hey, .. how do you feel? I mean, do you feel the way you’re supposed to feel” – er ist unsicher, wird von ihr aber beruhigt. Ohne die Szene weiter zu analysieren kann festgehalten werden, dass sie für das Verständnis der Figur Clyde von zentraler Bedeutung ist – er wird hier gleichsam “erlöst”. Die entsprechende Szene in Badlands hat eine ganz andere Funktion, ist aber unübersehbar (und wortwörtlich) in Bezug gesetzt zur Stelle im Film von Penn.
“Did it go the way it ‘uz supposed to?” – in Badlands ist es Holly die fragt – aber wie im Film von Penn ist es unmittelbar “danach”. Es sind nicht nur die Rollen verkehrt, auch die Bedeutung ist verschoben. Zwar bejaht Kit, aber Holly hakt nach: “Is that all there is to it?” Diese Fragerei ist offenbar unbehaglich für Kit und bringt auch für uns zum Ausdruck, dass die sexuelle Begegnung für Holly unbefriedigend war. Sie fügt dann noch an: “Well. I’m glad it’s over…”. Der direkte Bezug Malicks zu Bonny and Clyde ist offensichtlich, was dort aber “Erlösung” ist, bleibt hier ein Mangel. Wir können uns fragen, ob der Verweis auf Bonny and Clyde uns nicht subtil ein besseres Verständnis der Tiefendimension von Badlands vermittelt. Wir sehen hier, wie dem Paar vom Vater des Mädchens (der jungen Frau) die Beziehung untersagt wird. Wenn wir nun annehmen, dass den beiden eine befriedigende Sexualität nicht gelingen will, würde ein Weiteres deutlich. Nicht nur lässt die Gesellschaft (vermittelt über das Verbot des Vaters) den Subjekten keine freie Entfaltung ihres Begehrens, auch die Leiber selber sind als Ort der Lustentfaltung und Empfindung bereits gestört (und die Frage nach “supposed to” bringt sowohl gesellschaftliche als auch die Erwartungen des Partners herein). In Bonny and Clyde findet der Protagonist zum Sex und zur liebevollen Bestätigung durch seine Partnerin – danach will er sie heiraten, das ist nicht ohne Ironie. Im Film ist für die Figuren aber freilich keine soziale Integration, sondern nur mehr der Tod durch die Exekutive vorgesehen (und auch historisch verbürgt). Penn zeigt das Elend der Zeit (die frühen Dreißiger-Jahre) aus dem die Figuren einen Ausweg suchen – und mit Clyde zugleich ein gehemmtes Subjekt, das sich auch darum produziert, weil es nicht genießen kann – und dann, als es genießen kann, kein Leben mehr vor sich hat.
Malick thematisiert eine restriktive Gesellschaft, in der die Subjekte bis in die Leiblichkeit hinein gestört sind – die Gewalt und zugleich die erstaunliche Empfindungslosigkeit der Figuren gegenüber dem Leid, das sie zufügen, können auch als Entsprechung dieser Verhältnisse gelesen werden.
Bleek vergleicht auch die entsprechenden Szenen “der zentralen Gewalttat” in beiden Filmen.
Zunächst ein Bankraub in Bonny and Clyde:
Als sie endliche loskommen, gelingt es einem Bankangestellten, hinten auf den Wagen aufzuspringen. (p.34)
Stimmt nicht, er springt nicht hinten auf, sondern steigt auf das seitliche Trittbrett und wird durch ein Seitenfenster (in einer spektakulären Einstellung) erschossen. Abgesehen von dieser Ungenauigkeit, überzeugt auch die Interpretation dieser Szene durch Bleek nicht (Clyde schießt “intuitiv, weil der Bankangestellte ein eindeutiger Gegenspieler ist” – p. 35).
Mir geht es hier aber vor allem um Badlands – die Ermordung von Hollys Vater, der entsprechenden Szene in Malicks Film, unterscheidet sich tatsächlich erheblich von der brutalen Szene in Bonny and Clyde. Das Sterben des Vaters ist merkwürdig unblutig (obwohl er von zwei Schüssen verletzt ist) und hat fast etwas Friedliches! Sehr genau beschreibt Bleek die Einstellungen – und doch geht sie am Zusammenhang vorbei.
Ich will hier einen Aspekt herausheben, den Bleek vernachlässigt: Autorität. Hollys Vater beansprucht sie – der Tochter gegenüber. Als sie sich wiedersetzt (sich heimlich mit Kit trifft), straft er sie, indem er ihren geliebten Hund erschießt und setzt “pädagogische” Maßnahmen (Musikstunden). Dennoch geht Kit zu ihm – es ist die Szene vor dem Einbruch in sein Haus. Der Vater ist bei seiner Arbeit, erhöht auf einem Gerüst, und malt. Kit ist zu ihm herausgefahren (die Szene spielt sich ein freier Landschaft ab, in die offenbar eine Werbetafel gestellt werden soll). Er nähert sich dem Vater seiner Fraundin – bleibt aber immer unten (auf dem Boden). Der Vater ist von vornherein ablehnend. Kit beruft sich darauf, dass es nicht verboten sei, hierher zu kommen (es gibt ein Gesetz jenseits des Vaters). Er fragt den Vater, ob er was dagegen hat, dass er sich an sein Auto lehnt – die Antwort bleibt aber aus. Auch dass er seinen Respekt für Holly bezeugt, hilft nicht weiter – er wird vom Vater verwiesen (er will ihn nicht mehr sehen). Es ist die ultimative Ablehnung für Kit, eine Zuspitzung von Misserfolgen, die sich seit Filmbeginn aneinanderreihen. Immer wieder blitzt er ab und er verliert seine Arbeit – immer wieder zeigt er aber auch Gesten der Rebellion: so schmeißt er die Arbeit hin und als er die Kündigung erhält, wirft er seine Schlüssel in ein Ölfass – sein Ex-Boss wirft dann einen Apfel nach ihm, der ihn tifft. Als Kit sich umdreht (worin eine gewisse Drohung mitschwingt), weist er auf seinen Hund hin, der ihm Schutz ist.
Die eigentliche Rebellion wird im Film dann elliptisch ausgespart. Nach der Ablehnung durch den Vater plant Kit, wie sich bald zeigt, mit Holly zu fliehen. Deutlich wird auch, dass er diesen Plan gefasst hat, ohne Holly zu fragen. Er trifft jetzt die Entscheidungen – auch für Holly. Er will die Autorität. Und er wird sie durchsetzen – mit der Waffe. Erzählt wird nicht die innere Wandlung von Abhängigkeit und Untertänigkeit zum Herrschaftsanspruch, sondern nur die Konflikte, die sich dann daraus ergeben. Kit dringt in das Haus von Holly ein und packt ihren Koffer. Dabei wird er vom Vater überrascht. Er zeigt ihm, dass er eine Waffe hat – der Vater, der ihn zunächst nur aus dem Haus weisen will, droht jetzt mit dem Gesetz (“I’m turning you over to the authorities”) – Kit behauptet seine neue Position: “I can’t allow it”. Er beansprucht jetzt Autorität. Wollte der Vater ihn aus dem Haus, will Kit ihn nun nicht weg lassen. Der Vater geht hinunter, auf der Treppe hoch über ihm stehend, gibt Kit einen Warnschuss ab, als der Vater sich nicht aufhalten lassen will, eilt Kit ihm nach und streckt ihn mit zwei Schüssen zu Boden.
Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., EUR 34.90 / CHF 47.90. ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
III. Bild und Ton in Badlands: Die Schaffung einer Kunstwelt (p. 39-57)
Verweis auf Michel Chion, dazu hier der Link zu Wikipedia:
Chion befasst sich mehrfach mit Ton im Film – Bleek zitiert besonders:
- Michel Chion, La voix au cinéma, coll. « Cinéma Essais », Cahiers du Cinéma, Paris, 1984.
1. Funktionen des Tons in Badlands
a. Klärung der Terminologie
Wer a. sagt .. kann auf b. auch vergessen – aber einen Lektor, der es bemerkt, kann man sich bei Fink nicht leisten.
Diegese wäre ein erprobter Begriff, um Erzählebenen und -Techniken zu beschreiben: Die Welt (das Universum) der Erzählung, wenn es eine einfache Erzählung ist – oder eine bestimmte Ebene in einer komplexeren Erzählung, von der andere Ebenen unterschieden werden. Vgl. dazu:
Auf eine Analyse der Erzählstruktur lässt sich Bleek aber nicht wirklich ein. Sie versucht sich zu orientieren – der Verweis auf
Barbara Flückiger (2005). Narrative Funktionen des Filmsounddesigns: Orientierung, Setting, Szenographie“, in: Harro Segeberg & Frank Schätzlein (Editors): Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in dem Medien, Marburg, 140-156.
ist weiterführend – eine gescheite Frau! Die Website von Barbara Flückiger:
Während Flückiger fein differenziert, fällt Bleek wieder in die bloße Unterscheidung von diegetisch und nondiegetisch zurück:
- diegetisch wäre ein Ton, der eine indexikalische Funktion (auf eine Tonquelle im Handlungsgeschehen verweisend) oder eine Orientierungsfunktion für das Filmgeschehen hat.
- nondiegetisch wäre Musik (aber Bleek verabsäumt es hier, darauf hinzuweisen, dass auch Musik diegetisch sein kann – wenn sie ihre Quelle im Filmgeschehen hat – und eine derart diegetisch legitimierte Musik ist in Badlands zweimal auch handlungstragend, wenn Kit und Holly dazu tanzen); nondiegetisch wäre aber auch voice-over, also eine Erzählerinnenstimme, die nicht zur Zeitlichkeit und Örtlichkeit des Bildes gehört. Gérard Genette hat hier subtiler unterschieden – und etwa eine mögliche “autodiegetische” Erzählerposition bestimmt.
2. Ein Mädchen als Erzählerin in Badlands
Die Mädchenwelt und das Mädchen – immer wieder wird Holly von Bleek dem Kindlichen zugeordnet. In Bezug auf diese Figur als Erzählerin ist das Unfug. Wir sehen zwar eine Frau, die 15 sein soll, aber wir hören eine Stimme, die am Schluss des Films erzählt, dass sie inzwischen mit dem Sohn ihres Anwalts verheiratet ist. Vor allem dieser Umstand markiert eine diegetische Differenz – als Ehefrau gehört sie nicht mehr in diese Welt der Mordserie und der Flucht, sondern ist in der Bürgerlichkeit gelandet, die ihr Vater immer für sie vorgesehen hat. Anzumerken ist aber auch, dass gerade dieses fiktive “Happyend” ein Märchenmotiv ist – die Wirklichkeit der Caril Ann Fugate hat anders ausgesehen.
a. Struktur des Kommentars
Über Erscheinung und Stimme der Figur Holly/Sissy Spacek innerhalb der Bilder ist die Stimme im Off mit der Welt der Diegese verbunden. (p. 43)
Aber wir erfahren nicht, wo gesprochen wird, wir erfahren vage, wann gesprochen wird (nach der ganzen Geschichte mit Kit, nach seinem Tod) – es bleibt unklar, zu wem die Stimme eigentlich spricht – und: Die erzählte Figur Holly und die Erzählerin selbst wird “psychologisch nicht wirklich greifbar” (Blick und Welt, p. 44). Und in diesem Nebel soll es Struktur geben? Kein Wunder, dass für Bleek “der Zusammenhang zwischen Hollys Worten und den Bildern häufig unbestimmt bleibt” (ebd.).
Im Gegensatz dazu meine ich, dass die Bilder des Film durchaus in erzählerischem Zusammenhang mit der Voice-Over-Stimme stehen. Gerade da, wo Bleek der Zusammenhang fehlt, ließe sich das gut zeigen.
Nach der ersten Begegnung mit Holly sehen wir, wie Kit seine Arbeit bei der Müllabfuhr verliert und eine neue Arbeit vermittelt bekommt. Die nachfolgenden Sequenzen von etwa sieben Minuten erzählen, wie Holly und Kit sich verlieben, obwohl beiden nicht viel gemeinsame Zeit bleibt. Sie geht ja in die Schule und hat auch sonst ein soziales Umfeld (zum Football gehören auch die Zuseherinnen) – und er hat eben seine trostlose Arbeit im Feedlot. Welches sind die Mittel, mit denen die Romanze erzählt wird? Wir haben Szenen, in denen beide zu sehen sind – mit Ton und Dialog. Es gibt aber auch viele Bilder ohne diegetischen Ton – und umgekehrt gibt es Musik, die nicht diegetisch ist – und eben die Voice-over-Erzählung. Es sollte aber festgehalten werden, dass gerade diese Voice-over-Technik die eigentliche Diegese konstituiert (oder zumindest mit-konstituiert). Die Romanze macht hier ja gerade die erzählte Welt aus. Es ist eben eine Montage-Technik, in der hier die Erzählung aufgebaut wird. Wir sehen Bilder des harten Arbeitsalltags von Kit im Feedlot (einer Mastanlage für Rinder) – der diegetische Ton ist ausgeblendet, dafür hören wir die leitmotivische Musik – und darüber dann die Erzählerin: “Kit went to work in the feedlot while I carried on with my studies. Little by little we fell in love…”. Später wird in der Erzählung von Holly noch einmal deutlich, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den Bildern der entfremdeten Arbeit und der Liebesgeschichte besteht: “In the stench and slime of the feedlot, he’d remember how I looked the night before, how I ran my hand through his hair and traced the outline of his lips with my fingertip. He wanted to die with me, and I dreamed of being lost forever in his arms.” Die Romanze wird erzählt als etwas, was zunächst den Alltag des Paares durchdringt. Subtil werden zugleich Signale gegeben, dass jenseits der romantischen Zweisamkeit eine gewisse Grausamkeit der Figuren vorliegt (Kit steigt auf ein totes Rind, Holly wirft einen lebenden Fisch in das Melonenfeld hinterm Haus). Und schließlich zeichnet sich eine Gabelung ab – während Kit noch hoffnungsvoll einen Ballon steigen lässt, hat Holly bereits Illusionen eingebüßt. Erzählt wird das aber nicht durchgängig durch sie selbst, sondern teilweise auch in den Dialogszenen, die symbolisch angereichert sind. Ein solcher symbolisierender Angelpunkt ist die Szene unter dem Baum – locus amoenus und literarisch hoch aufgeladenes Gespräch der Liebenden. Holly weist auf die Schönheit des Ortes hin (What a nice place!) – Kit passt nicht wirklich auf. Holly gefallen besonders die Blumen: “Let’s not pick them. They’re so nice.” Die Blume wird dann doch gepfückt – in einer anderen Szene sehen wir die beiden nachdem sie erstmals Sex miteinander gehabt haben. Spätestens da ist die eigentliche Romanze vorbei – Holly ist sichtlich irritiert. Und dann kommt eben bald auch der Einbruch von außen, wenn der Vater das Verhältnis entdeckt und als Strafe ihren Hund tötet.
Erzählt wird also mehrschichtig – in Bildern, durch Musikuntermalung, durch dialogische Szenen – und die Voice-over-Stimme. Dabei ist interessant, dass Holly mehrfach auf innere Vorgänge von Kit eingeht, ihre eigenen Gefühle jedoch eher tiefgründig in symbolisch konstellierten Dialogen zugänglich werden. Erzählt wird, könnte man zusammenfassen, höchst artifiziell – und die Voice-over-Stimme ist darin nur eine Ebene.
Wichtig der Hinweis auf Sarah Kozloff, die von Bleek mehrfach zitiert wird:
- Sarah Kozloff: Invisible Storytellers. Voice-Over Narration in American Fiction Film. Los Angeles, 1988.
b. Funktion des Kommentars
Hier wird ein Aufsatz von Anne Latto zitiert, eine angemessene Auseinandersetzung mit diesem Text findet aber nicht statt. Dabei ist Anne Lattos Ansatz durchaus interessant – sie geht von Gender und point of view aus.
- Anne Latto: Innocents Abroad: The Young Female Voice in Badlands and Days of Heaven. In: The Cinema of Terrence Malick: Poetic Visions of America, hg. von Hannah Patterson, p.86-9.
Nur als Verweigerungshaltung kann ich es begreifen, wenn Bleek schreibt: “Man würde Badlands auch ohne den gesprochenen Kommentar begreifen” (p.45). Auf der Suche nach einer “positiven Funktion” der Stimme von Holly findet sie:
Die Funktion ist offenbar nicht nur die, eine Unschuldige zu zeichnen, die in ein Drama involviert wird, das ihr über den Kopf wächst. Die Funktion scheint auch die zu sein, den Effekt eines Wachtraums zu erzeugen. Die Belanglosigkeit des Gesagten führt dazu, dass man nach einiger Zeit weniger auf die einzelnen Worte achtet, als dass man Klang, Melodie und Rhythmus der Sätze wahrnimmt. (p. 45)
Es ist nicht falsch, dass Hollys Stimme tatsächlich auch zur “Klangsphäre des Films” (p. 46) gehört – hier aber von der “Belanglosigkeit des Gesagten” zu reden, zeugt von reinem Unverständnis.
3. Der Einsatz der Musik in Badlands
Bleek wendet sich einer Episode im Film zu – der ersten “Station” des Paares auf der Flucht: ihrem Aufenthalt im Flusswald. Tatsächlich spielt hier Musik eine elementare Rolle – vorwegnehmend möchte ich meinem Staunen Ausdruck geben, wie es möglich ist, dass Bleek die diegetisch eingebrachte Musik in dieser Episode völlig übersieht – Holly und Kit tanzen zum Song “Love is strange .. ”
- Hier der Link zum Text: http://www.stlyrics.com/lyrics/dogma/loveisstrange.htm
a. Verknüpfung von Musik und Gegenständlichkeit
Vermutung ist, dass sich in der Musik die Erwartungen der Figuren und ihre Erfüllung berühren, ohne dass dafür etwas an der gegenständlichen Welt vor der Kamera verändert werden müsste. (p. 46 f.)
Begreife es, wer will – man kann es sich doch auf der Zunge zergehen lassen!
b. Kit und die Musik von Carl Orff
Verweis auf den “Gassenhauer” aus dem “Schulwerk” von Carl Orff und Gunild Keetman, der mehrfach im Film gespielt wird.
Parallel zum Thema des Musikstücks wird Kit als Gassenjunge inszeniert. (p.48)
Wert gelegt wird auch auf die Material-Übereinstimmung: Xylophon=Holz .. und Holz ist im Film zu sehen.
c. Filmästhetische Auflösung des Antagonismus von Musik und Gegenständlichkeit
.. es ist also “kein Zufall”, dass “Holz im Bild zu sehen ist, wenn das Xylophon erklingt” (p. 49). „Entscheidend an dieser Art der Verknüpfung von Ton und Bild ist, dass Materialqualitäten in den Bildern zum Klingen gebracht werden.” (ebd.) Mir erscheint dieser “Gedanke” einer simplen Material-Analogie extrem naiv.
4. Die Unmöglichkeit eines Rückzugs in die Natur
Es ist nicht alles falsch, was Bleek in diesem Kapitel ausführt, aber es ist ungeschickt formuliert und ohne Blick für größere Zusammenhänge. Verweis auf Das Bild “Daybreak” von Mawell (Maxfield) Parrish, das als Requisit im Film vorkommt.
Geht es in Badlands wirklich um einen Rückzug in die Natur?
5. Schicksalhaftigkeit, Todesahnung und Grenze der Idylle
Malick zeigt, dass die Figuren der Welt, der sie entflohen sind, nicht entkommen. Aber das ist nicht alles. Er stellt auch dar, wie schicksalhaft die Entwicklung der Figuren eigentlich verläuft. (p. 50)
Schicksal, Todesahnung, Idylle – in dieser Mischung verstellen, wie mir scheint, die Begriffe eher den Blick auf den Film, als dass sie etwas erhellen.
Wie können wir Badlands “lesen” – “sehen” – “verstehen”? Auch die Episode im Flusswald verweist uns auf komplexe Zusammenhänge unterschiedlicher Ebenen.
Das Paar ist, nach dem Mord an Hollys Vater, auf der Flucht – macht aber sogleich “Station”. Wie von mir bereits angemerkt, gibt es für diese Episode kein Vorbild in der historischen Vorlage – die fiktive Sequenz von etwa 10 Minuten ist aber für das Verständnis des Films unverzichtbar. Einem Verständnis nähere ich mich, indem ich frage, was passiert hier für das Figuren-Paar – und was geschieht in Bezug auf die einzelnen Figuren.
Wie für andere Episoden gilt auch hier: die Film-Erzählung wird durch Bildsequenzen mit ausgeblendetem oder reduziertem diegetischen Ton, der Voice-over-Stimme von Holly, Musik und Filmszenen mit Dialog oder anderem diegetischen Ton gebildet. Elementar für ein Verständnis ist wieder einmal die Erzählung Hollys – aber eben nicht nur.
Was passiert also mit dem Paar? Sie bauen sich ein Haus – auch wenn es nur ein Baumhaus ist – und sie leben eine Art Alltag. Es ist, was ihnen die Gesellschaft und der Vater zuvor verwehrt haben. Sie schaffen etwas gemeinsam – sie schlafen beieinander (dass es zu Sex kommt, ist jedoch nicht ersichtlich) – Kit rasiert sich, Holly hat Lockenwickler, es gibt Frühstück und Tanz zu Radiomusik, Nahrungsbeschaffung und “Freizeit” (Tierbeobachtung, Lesen). Es kommen in diesem Tun abenteuerliche Klischees heraus, die wie eine Mischung von Lesefrüchten aus dem “Schweizerische Robinson” und den “Höhlenkindern” wirken (das Baumhaus, die Verwendung “steinzeitlicher” Werkzeuge). Dazu kommt aber die mitgeführte Zivilisation (mit Hausrat aus dem Haus des Vaters und zwei Schusswaffen zur Verteidigung). Genau dort, wo das steinzeitliche Spiel (Kit versucht vergeblich, mit einem aus Holz gebastelten “Netz” einen Fisch zu fangen) sich an die Grenze der Zivilisation begibt (man sieht im Hintergrund einen Lastwagen fahren – und dann schießt Kit auf den Fisch), bricht die “Idylle” auf – und die Kopfgeldjäger kommen ins Spiel. Hier ist von einem weiteren Klischee zu reden, das zugleich Genre-Merkmal ist – dem Helden als “Master-Mind”. Der Held hat einen Plan – und er führt ihn meisterhaft aus. Das geht auch hier auf. Die ganze Episode ist nicht nur Rückzug in die Natur, sondern zugleich eine Art Falle, die Kit seinen Verfolgern stellt. Und zum Schluss schnappt die Falle zu – und die Kopfgeldjäger sind tot. Holly erzählt davon, dass sie genau wissen, dass sie verfolgt werden: ” .. we knew they’d be looking for us. Kit made sure we’d be prepared”. Das Baumhaus und die Grube im Boden haben auch diese Funktion: gewappnet zu sein. Kit baut an selbstauslösenden Waffen – und entdeckt schließlich die Jäger rechtzeitig. Zuvor schon schult er Holly im Umgang mit dem Gewehr und trainiert selbst für die Verteidigung. Als es dann so weit ist, geht alles wie geölt – sie verstecken sich, die Jäger tappen in die Falle – und werden von Kit erledigt. Kit ist hier der Abenteurer und Krieger, der erfolgreich überlebt – und zugleich dieser Junge, der mit seinem Mädchen auf Campingurlaub ist. Umgekehrt ist Holly eine, die sich die Rolle von Kit zuschreiben lässt (sie schleppt schwere Lasten, um stärker zu werden), die auch “weibliche” Verhaltensmuster einlöst (Lockenwickler, Schminken) – darüber hinaus aber auch sensibler ihre Naturumgebung wahrnimmt – und vor allem zu Reflexionen über ihre eigene Position findet, die quasi der Angelpunkt für den ganzen Film sind.
Das Paar hat hier im Wald seine Zeit, diese Episode ist, wie wir verstehen, eine Art regressive Schleife, in der sich die beiden die Erfahrung eines Alltags ertrotzen – und letztlich ist genau das in ihrer Situation völlig absurd, unwahrscheinlich und märchenhaft. Durch das mitgeschleppte Zeug aus dem Haus des Vaters kommt erst diese Mischung aus Steinzeit (was der Wald und die Natur zur Hand gibt) und Zivilisation (das Mitgenommene) zustande, beides ist auch ein ironisches Konstrukt. Wenn Holly etwa mit dem Binokular den Wald beobachtet, sieht sie ein merkwürdiges Tier “not a deer or a horse”, wie das Script anmerkt: es ist ein Lama, das eigentlich nicht in diesen Wald gehört. Und was Holly dann sagt, ist, wie Bleek in Anmerkung 40 (p. 50 f.) auch nachweist, ein Zitat aus Huckleberry Finn. Was sie tun, ist in den “Höhlenkindern” vorgezeichnet – und es wird in der Lektüre von Thor Heyerdahls “Kon-Tiki” gespiegelt (arbeiten wie in der Steinzeit). Was Holly erzählt, ist wörtliches Zitat, wie Kit handelt, gehorcht einem Genre-Muster (Master-Mind zieht einen Plan durch). Und dazu dann die Alltagssituationen, die suggerieren, dass wir hier ein junges Paar haben, das „Erwachsene“ spielt.
Holly, die sich ja aus freien Stücken entschlossen hat, Kit zu begleiten (weil er sie liebt!), erzählt in dieser Episode auch von innerer Distanz zu ihrem Gefährten: ” .. at times I wished he’d fall in the river and drown, so I could watch”. Wieder das Motiv der Grausamkeit (wie damals, als sie ihren zappelnden Fisch ungerührt ins Melonenfeld wirft). Es ist eine konkrete Todesphantasie – nicht eine der “Todesahnungen” (von der Bleek immer wieder redet). Besonders in dieser Sequenz, wo sie die historischen Stereobilder ihres Vaters betrachtet, erzählt sie (in voice-over) von Reflexionen, in denen die Geschichte von Badlands als ganze balanciert wird:
“One day, while taking a look at some vistas in Dad’s stereopticon, it hit me that I was just this little girl, born in Texas, whose father was a sign painter and who had only just so many years to live … It sent a chill down my spine, and I thought: Where would I be this very moment if Kit had never met me? … Or killed anybody? This very moment… If my Mom had never met my Dad? If she’d of never died?… And what’s the man I’ll marry going to look like? What’s he doing right this minute? … Is he thinking about me now, by some coincidence, even though he doesn’t know me? Does it show on his face?”
Was hier hereinkommt, ist eine mögliche ganz andere Geschichte – eine Art von Geschichte, wie sie Paul Auster erzählen könnte (die Geschichte einer Begegnung, die lange vor der Begegnung beginnt als Denken aneinander, ohne dass man sich noch kennt). Holly denkt an ihren zukünftigen Mann – und am Schluss des Films erfahren wir auch, dass sie ihn gefunden hat – die komplizierte Gedankenkonstruktion lenkt aber auch davon ab, dass dieser Mann, von dem sie träumt, nicht Kit ist, von ihm hat sie sich innerlich bereits gelöst. Und doch ist sie mit ihm hier – ihr Konflikt lähmt sie: “For days afterward I lived in dread. At times I wished I could fall asleep and be taken off to some magical land, but this never happened.”
Holly ist innerlich bereits beim nächsten Mann – bei dem, den sie heiraten wird. Was hier deutlich wird: die Geschichte von Kit und Holly als Paar läuft nicht synchron mit der Geschichte ihrer Flucht.
Schwieriger ist es, von dem zu reden, was Kit treibt. Es gibt eine intentionale Ebene, auf die mehrfach angespielt wird – “I got it all planned… and I’m taking Holly off with me”, sagt er zu Hollys Vater. Auch was er auf die Platte spricht, ist Teil seines Plans – “He was gambling for time”, erzählt Holly. Es ist ein Spiel – das Baumhaus, die Grube: wie eine Falle, die zuschnappt. Alles geht auf – aber anders als die Innensicht von Holly, die sich für uns durch Voice-over retrospektiv oder durch Dialoge diegetisch erhellt, wird diese intentionale Ebene von Kit nicht genauer expliziert. Vielmehr wird die Szenenfolge der “Falle” musikalisch inszeniert.
Wie das genau passiert, müsste man sich sehr genau ansehen – hier nur so viel: ähnliche Muster gibt es im Western, besonders im Italowestern. Das eigenartige bei Malick ist die gesuchte Qualität der Musik (Orff – nicht Morricone). Aufgefallen ist mir auch, dass die Faust-Szene, die hier musikalisch-poetisch hereinkommt (die Mitternachtsszene aus Faust II) zugleich auf die übernächste Episode verweist, die beim reichen Mann spielt.
Ein kurzes Innehalten ist vielleicht angebracht – denken wir an einen Begriff wie Diegese zurück. Was können wir anfangen damit – welches ist das erzählte Universum von Badlands? Es ist eine Welt, die quasi in einem Parallelunversum abläuft – sie ähnelt unserer Zeitgeschichte, wir erkennen Orte, die Signaturen einer Zeit (South Dakota, 1959), sogar die einzelnen Strukturen einer „wahren“ Geschichte (der von Starkweather & Fugate) – und doch ist es eine fiktive Welt, die in ihrem Ablauf und ihren Grenzen erst mit dem letzten Bild des Films bestimmt wird – oder für immer unbestimmt bleibt.
Ein Wort wie Diegese sagt, dass eine Welt so gedacht werden kann, als existierte sie für sich, als wäre sie in sich stimmig – und hätte zugleich ein Außerhalb, letztlich uns als Beobachter. Erzählen ist eine Sinnproduktion – und die diegetische Welt eine der Projektionen unserer Exegese.
Die Diegese selbst kann aber auch verweisen, teilweise übereinstimmen mit unserer Wirklichkeit und sie so kommentieren. Ein derartiger Verweis auf „reale“ Kultur und Geschichte wäre die Geschichtlichkeit der Gegenstände oder Kulturgüter (das Fluchtauto ist ein Mercurey, Das Bild ein Mawell Parrish, das Radio ein Zenith, das Paar tanzt zu einem Song, den es wirklich gibt, siehe oben). Wir verstehen, dass der Film sich auch mit amerikanischer Kultur und Zeitgeschichte auseinandersetzt. Wie leicht man dabei in die Irre gehen kann, ist mir unlängst aufgegangen, als ich “Rebel Without a Cause” wiedergesehen habe: Das Auto von Kit (der Mercurey) verweist nicht nur auf eine bestimmte Zeit und den amerikanischen Alltag, sondern zugleich auf die von James Dean verkörperte Figur in diesem Film, die auch einen Mercurey fährt (ich hatte es vergessen).
Diegese als „Struktur“ oder „Symbol“: die Welt der gezeigten Handlungen und Dinge verweist uns zugleich auf anderes. Wenn die beiden mit primitven Werkzeugen ein Baumhaus bauen, erkennen wir literarische Muster wieder (die „Höhlenkinder“ u.a.). Wenn von einem abgestorbenen Baum die Rede ist und später ein solcher im Fluss treibend von der Kamera begleitet wird, wird durch die Rekurrenz das Ding zugleich symbolisch aufgeladen – es wäre Sache der Interpretation, damit sinnzuschreibend umzugehen (oder sich zu hüten davor).
Diegese als (ironischer) Schein: wenn Holly im Flusswald nun nicht ein Lama, sondern gleich ein Einhorn erschiene, wäre die Sache noch deutlicher – hier stimmt was nicht in der gezeigten Welt, oder wäre damit der Blick Hollys gemeint?
Nicht nur Verweis auf Diegese, sondern Zitat: was Holly sagt, bezieht sich nicht nur auf eine erzählte Situation, sondern deckt sich mit dem Wortlaut eines ganz anderen Zusammenhangs (einem Roman von Mark Twain). Was fangen wir an damit?
Und dann die nichtdiegetische Musik – hier vor allem aus dem Schulwerk. Nichtdiegetisch bedeutet, dass wir die Musik hören, in der gezeigten Welt die Musik aber unhörbar ist (und tendeziell wird dann zugleich das in dieser gezeigten Welt Hörbare ausgeblendet). Bleek merkt ja auch, dass teilweise der Rhythmus der Musik mit gezeigten Handlungen übereinstimmt – aber wie verstehen wir das? Gerade das Erbauen des Baumhauses und die Entdeckung und das Annähern der Kopfgeldjäger sind musikalisch signifikant begleitet. Das eine mit der heiteren Musik des „Gassenhauers“, das andere vor allem mit der Vertonung der „Mitternachtsszene“. Durch die Musik erscheint die Handlung quasi choreographiert. Einmal ein ironisch-heiteres Balett des Steinhammers – dann die opernhaft-dramatische Zuspitzung einer Gefahrensituation, in der das Timing des Helden genau stimmt. Hier zu Letzterem die Stelle im Script:
Holly is off somewhere in the forest. putting on lipstick. Kit sits on watch in the crowls nest, a pair of binoculars close at hand. On sound, over the music, we hear voices whispering to them. Kit sees a movement in the brush. A moment later a figure appears, a hunter, carrying a gun. Kit shouts a code word to Holly. She takes off running, as Kit clambers down the planks of the treehouse and collects his shotgun. He tells her to hide, runs through the woods and dives in a hole, under a cover of leaves. She jumps behind a log. Several shots of the still forest follow, then the hunters appear, a shoulder here, pant leg there. The music ends as one of them cocks his gun.
„ .. we hear voices whispering to them“. Im Script vermischen sich die Welten: was wir als reimendes Flüstern über der Musik hören, gilt den Figuren. Aber müssen wir uns jetzt mit Geistern diesseits und jenseits der Diegese beschäftigen?
I know the stars and
I saw the trees
I know the flowers and
I set the breeze
An die Stelle von Mangel, Schuld, Sorge und Not (in der Mitternachtsszene) – sind .. Naturgeister getreten?
Deutlich wird, dass durch die Musik der Handlungsablauf begleitend gegliedert wird, sich zu einer stringenten Choreographie verdichtet: Im leisen Rhythmus und dem „kindlichen“ Singen der Greisinnen (hübsche Ironie, die auch bei Malick durchscheint) zeichnet sich für Kit die Gefahr ab – dann, als er vom Baumhaus hinunterstürmt, Holly zuruft, sich zu verstecken und sich selbst versteckt, spielt und endet sekundengenau eine schnelle Musik – und beim Herannahen der Kopfgeldjäger tönt dann wieder die leise Faustvertonung aus dem Schulwerk bis zum Wort „Tod“ (und ganz kurz ist noch einmal das Lama zu sehen!). Als einer der Kopfgeldjäger sein Gewehr repetiert, wechselt der Ton wieder in die Diegese zurück.
Das Flüstern gehörte in einen diegetischen Zwischenbereich – die Musik ist jenseits der Diegese auf Seiten der Erzählweise und vermittelt die Wachheit und Präzision der Figur Kit, gehört also mit zu den Erzählmitteln, mit denen die „Falle“ als solche kenntlich gemacht wird.
Das Paar ist auf der Flucht und lebt tagelang im Wald zurückgezogen. Sie bauen mit primitiven Mitteln ein Baumhaus, in dem sie leben, und bereiten ihre Verteidigung vor. Dennoch ist Kit unvorsichtig (er schießt auf einen Fisch im Wasser) – und so werden sie aufgespürt. Es gelingt Kit aber, seine Vefolger zu erledigen.
In dieser Episode haben die beiden viel Zeit für einander. Holly ist mit ihren Gedanken aber bereits bei dem Mann, den sie später einmal heiraten wird und tagelang von Furcht gequält. Kit hingegen spielt hingebungsvoll „Steinzeit“ und geht ganz im Alltag auf. Er provoziert seine Auffindung, ist aber wachsam genug, die Vefolger auszuschalten.
6. Aufbau einer Märchenwelt: Badlands und The Night of the Hunter (USA 1955)
In Bezug auf Badlands hat Bleek einen klaren Befund: “Die Realität erscheint nicht stilisiert.” (p. 56) – Dazu sage ich nur: Obacht, Lama! Der Vergleich der Filme wird keinem von beiden gerecht.
Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
IV. Eine Theorie des Tons in Badlands (p. 58 ff.)
Hypothese ist, dass Malick den Ton im Film als Medium der Darstellung einsetzt und nicht nur als ein Element der Vermittlung von Handlung. Dadurch bekommt man häufig mehr im Bild zu sehen als auf den ersten Blick zu erkennen ist. (p. 58)
Wirklich geglückt ist die Formulierung nicht. Was stellt der Ton nun dar? Geht es um Symbol, Bedeutung, Sinnerweiterung, Erzählzusammenhang? Dass man „häufig mehr im Bild zu sehen (bekommt) als auf den ersten Blick zu erkennen ist“ ist jedenfalls ein Satz, der unübersehbar den Bleek-Stempel trägt.
1. Entfremdung von der konventionellen Welt
Die Sequenz im und um das Haus des reichen Mannes ist wichtig für eine Bedeutungsdimension des Films: das Thema der Entfremdung und das Bedürfnis nach Aufhebung dieser Entfremdung bei Holly und Kit. Die Sequenz ist kontrastiv angelegt zu jener bei Cato. Herrschte in dem Einödhof Armut und Verwahrlosung, strahlt die Villa Reichtum und Gepflegtheit aus. (p. 58 f.)
Die Struktur-Beziehung beider Szenen gehen weit über den Antagonismus „arm-reich“ hinaus. Leider geht Bleek aber auf die Sequenz bei Cato nicht weiter ein (ich werde das an anderer Stelle versuchen).
a. Bildliche Betonung der Musikinstrumente
Zur Episode beim reichen Mann meint Bleek:
Die Sequenz ist um das Thema des Hörens herum aufgebaut. (p. 59)
Musikinstrumente, Klang und Hören sind hier jedenfalls wichtig.
Nachdem die Bewohner des Hauses offenbar von Kit weggesperrt worden sind, wird gezeigt, dass das Haus für Kit und Holly eine fremde Welt ist. (p. 59)
Im Film selbst ist es ganz und gar nicht offenbar, dass der Reiche Mann und sein Hausmädchen jetzt schon „weggesperrt“ worden sind, im Gegenteil: es gibt kein Indiz dafür. Statt dessen gibt es einen elliptischen Schnitt. Gerade noch hat der Hausherr die beiden „eingeladen“ so lange zu bleiben, wie sie möchten – in der nächsten Einstellung sehen wir dann Interieur und hören den „Glasharfenklang“ (Holly reibt mit einem Finger am Rand eines Trinkglases). Es zeigt sich, dass Kit und Holly allein im Raum sind. Erst später sehen wir wieder den reichen Mann und das Hausmädchen in einem anderen Raum – in einem der Obergeschoß. Sie sitzen (bzw. liegen) auf Möbeln, die mit Laken abgedeckt sind. Im Drehbuch heißt es dazu:
Holly enters the room where the Rich Man and his Maid have been put. The furniture and paintings are covered with sheets, suggesting that for some purpose, known only to the family, the room has been set aside.
Hier, im Script, wird also angedeutet, dass der Hausherr in diesen Raum „gesteckt“ worden ist. Und hier im Script wird auch auf ein „Familiengeheimnis“ angespielt: Warum sind die Möbel abgedeckt? Dadurch wird signalisiert, dass dieser Raum sonst nicht verwendet wird. Warum, könnten wir fragen – es ist ein Fingerzeig auf eine Abwesenheit. Wer hier fehlt, ist die Hausfrau – hat sie, wenn es sie gegeben hat, den reichen Mann verlassen, oder ist sie gestorben? Wir erkennen eine strukturelle Wiederholung: Wie Hollys Vater ist auch der reiche Mann einer, der einer Frau nachtrauert. Hat Kit den reichen Mann nicht gleich zu Beginn gefragt: „Anybody else here besides you two?“ Die Antwort ist ein einfaches „No“. Es kommt nach einem leichten Zögern – und mit einem eigenartigen Beiklang: der Nachdenklichkeit und Trauer?
So ausführlich Bleek auf die Gegenständlichkeit von Musikinstrumenten und die Sphäre des Klangs hier eingeht – auf der Sinnebene geht ihr manches verloren. Als Kit das Tischglöckchen läutet sagt er: „Next time I ring that, it means: time to clear out.“ Sein Gesichtsausdruck ist irgendwie erwartungsvoll, zwischen Ironie und gespieltem Ernst. Tatsächlich stellt er damit die Funktion des Glöckchens auf den Kopf: das Klingeln holt eigentlich die Bedienung, soll nun aber das Ausbüchsen des Akteurs anzeigen. Als dann später tatsächlich die Türglocke läutet und ein Besucher nach dem Hausherrn fragt, ist es letztlich soweit: der Besucher wird unter einem Vorwand abgefertigt – und die beiden brechen wieder auf.
b. Holly im Garten
Ausführlich geht Bleek auf die kurze Szene ein, als Holly vor das Haus tritt und im Garten innehält. Die Sequenz wird teilweise von Musik begleitet: Dem „Lentement“ aus den „Trois Morceaux en forme de poire“ von Eric Satie. Hier die Voice-Over-Erzählung Hollys:
I left Kit in the parlor and went for a stroll outside the house. The day was quiet and serene, but I didn’t notice, for I was deep in thought, and not even thinking about how to slip off … The world was like a faraway planet to which I could never return … I thought what a fine place it was, full of things for people to look into and enjoy.
Ich werde die Szene aber anders als Bleek aufrollen, denn in dieser Voice-Over-Erzählung spitzt sich eine Entfremdungserfahrung zu, die letztlich viel früher, bei der ersten (und einzigen?) sexuellen Begegnung mit Kit beginnt:
For a while I was afraid I might die before it happened… Had a wreck, some deal like that.
Als Kit ihren Vater ermordet, bleibt sie, wie wir gesehen haben, bei ihm:
I could of snuck out the back or hid in the boiler room, I suppose, but I sensed that my destiny now lay with Kit, for better or for worse, and that it was better to spend a week with one who loved me for what I was than years of loneliness.
Im Flusswald beginnt sie dann nachzudenken über ihre Situation:
Where would I be this very moment if Kit had never met me? … Or killed anybody?
Hier beginnt auch ihr explizites Unbehagen:
For days afterward I lived in dread. At times I wished I could fall asleep and be taken off to some magical land, but this never happened.
Und als Cato tot ist, wird sie endlich aufgerüttelt:
Suddenly, I was thrown into a state of shock … Kit was the most trigger happy person I’d ever met.
Ein Blick in den Wikipedia-Artikel zu Starkweather zeigt, dass die Worte, die Malick Holly in den Mund legt, strukturell vertauscht sind. Es war umgekehrt: Starkweather, der damit Fugate bezeichnet! (Starkweather claimed Fugate was the “most trigger happy person” he had ever met. In: http://en.wikipedia.org/wiki/Charles_Starkweather)
Jedenfalls erkennt sie, dass sie involviert ist in die Geschichte: „We’re in for it now … if they catch us“, sagt sie zu Kit.
Nun, im Garten des Reichen Mannes, fühlt sie sich abgetrennt von der Welt. Das ist einerseits psychologisch nachvollziehbar, weil durch das, was geschehen ist, keine Rückkehr zur Normalität mehr möglich ist – andererseits wird hier zugleich an der Separierung der Figuren-Geschichten gearbeitet: Holly beginnt sich von Kit zu distanzieren. „I left Kit ..“– noch ist es nur eine kurze räumlich Trennung (er ist im Haus, sie im Garten), bald aber wird sie die Fortsetzung der Flucht mit ihm verweigern – und der Film öffnet für sie ein „Happyend“, in dem sie im Prozess mit einem blauen Auge (einer bedingten Strafe) davonkommt und heiraten kann.
c. Kit mit Diktaphon
Kit hat, während Holly draußen im Garten ist, im Sessel des Reichen Mannes Platz genommen und spricht in ein Diktaphon. Es sind Ratschläge an junge Leute – in welche Rolle denkt er sich da hinein? Er entschuldigt sich abschließend für die Grammatik.
In einem Interview mein Malick dazu:
He doesn’t really believe any of this, but he envies the people who do, who can. He wants to be like them, like the rich man he locks in the closet, the only man he doesn’t kill, the only man he sympathises with, and the one least in need of sympathy. It’s not infrequently the people at the bottom who most vigorously defend the very rules that put and keep them there. (Vgl.: Malick on Badlands. By Beverly Walker. This article originally appeared in Sight and Sound 44:2:82-83, Spring 1975. Copyright Sight and Sound. )
Dieses kurze Rollenspiel markiert einen Wechsel in der Teleologie des Plots.
Rekapitulieren wir die Stationen. Wir können erschließen, dass Kit ursprünglich einfach mit Holly auf und davon wollte. Dass dabei der Vater Hollys auf der Strecke bleibt, macht aus dieser „romantischen“ Flucht einen Wettlauf mit der Exekutive – er flieht jetzt nicht mehr vor dem Verbot des Vaters, sondern vor der Verfolgung durch das Gesetz. Die Episode im Flusswald ist nicht nur idyllischer Rückzug, sondern zugleich eine Falle für seine Verfolger, in der drei Leichen zurückbleiben. Die Episode bei Cato ist, wenn man so will, die Entfaltung seiner bestimmenden Position: er hat die Waffe in der Hand – und er bestimmt die Regeln. Alle unterwerfen sich, auch Cato – dennoch muss dieser sterben (auf das junge Paar schießt er, ohne dass wir wissen, ob sie tot sind). Holly, die sich ihm fügt, weiß, dass sie mitschuldig ist. Im Haus des Reichen Mannes geht es für Kit aber nicht mehr nur um die Machtposition, nicht nur um Autorität – sondern auch darum, ein neues Selbstverständnis zu finden. Das Rollenspiel ist ein solcher Versuch – und wenn Kit sich weiterhin in die Rolle einer Berühmtheit hineinlebt, ist das eine ganz neues Ziel, das auch durch die Aussicht auf Gefangenschaft und (Todes-)Strafe nicht aufgegeben werden muss. Oder anders: es geht um Anerkennung – der Reiche Mann hat sie in der kapitalistischen Gesellschaft; auch Holly und Kit sind voll der Anerkennung für ihn und sein Haus. Kit ahnt bereits, dass er in seiner medialen Bekanntheit, in seinem (wenn auch „negativen“) Ruhm Anerkennung finden wird. So misst er auch seiner Handschrift Wert bei (die Liste, die er dem reichen Mann gibt könnte dieser verkaufen, meint er – das Schuldverhältnis umkehrend). Und so wird er später Souvenirs verschenken (seinen Kamm etc.) und Hände schütteln: als einer, der in eine neue Rolle hinein gefunden hat.
Dass er nicht der reiche Mann selber ist, wird jedenfalls schlagartig wieder klar, als es an der Türe klingelt. Jemand fragt nach dem Hausherrn – Kit erfindet eine Ausrede. Auch wenn er den Besucher abwimmeln kann, wird er mit Holly wieder weiterziehen. Sie nehmen sich Essvorräte und ein paar Kleinigkeiten mit, Kit „verkleidet“ sich mit Hut und Jacke des reichen Mannes, Holly hat ein Tuch auf dem Kopf (was ein bissl dämlich aussieht und an Mariendarstellungen erinnert).
Wie komplex die Motiv-Struktur in dieser Episode konstruiert ist, kann hier nur angedeutet werden. Bleek erkennt immerhin die Grundzüge. Zum einen emanzipiert sich die Sequenz von der historischen Folie (der Reiche Mann und seine „Familie“ wird nicht getötet). Über die Musik ist sie aber auch mit der Sequenz im Flusswald verbunden. Als dort die Kopfgeldjäger das Paar überraschen wollen, wird die Vertonung der „Mitternachtsszene“ aus dem Schulwerk eingespielt. Im Faust heißt es, dass Mangel, Not und Schuld dem „reichen Mann“ nicht an können – nur die Sorge (warum er dann erblindet). Und weiter hinten droht der Tod. Letztlich ist Kit hier derjenige, der (wie Faust) mit dem Teufel im Bunde scheint, der den anschleichenden Tod (die Kopfgeldjäger) rechtzeitig wahrnimmt und ausschaltet. Zwei Episoden weiter ist er der Eindringling ins Haus des Reichen Mannes – aber er bringt nicht den Tod für ihn, sondern sucht seine Freundschaft, er möchte gerne seinen Platz einnehmen und setzt sich auch dort hin, wo zuerst der Reiche Mann selber gesessen ist (und von da wird er erst durch einen Besucher aufgescheucht, den der Regisseur Malick selber spielt).
2. Faktizität der Spur
Das Heidegger-Wort der „Faktizität“ wirkt deplatziert – es geht um Handschrift, Stimmaufzeichnung, Erinnerungsspur, Zeichen – aber auch um falsche Fährten und verwischte Spuren. Das Motiv der Spur und des Andenkens wird immer wieder von der Kritik reflektiert, auf einige Stellen verweist Bleek in Fußnote 54.
Ich versammle hier einmal, was mir zum Thema aufgefallen ist.
Holly erzählt von Kit im ersten Drittel des Films:
„ .. some of the stuff he did was strange. (…) For instance, he faked his signature whenever he used it, to keep other people from forging important papers with his name
Fälschung – um sich vor Fälschung zu schützen. Zur Selbstüberschätzung von Kit gesellt sich seine verquere Logik (denn wenn er seine Unterschrift immer auf die gleiche Weise „fälschte“, wäre ja die falsche Unterschrift die einzige und daher die richtige). Oder es geht um die Ersetzung seines Namens, um ein Alias (womit er mit seiner Unterschrift die Geste der Bestätigung unterläuft).
Durchaus eine genauere Lektüre verdient der Versuch von Kit, eine „Unvergesslichkeit“ herzustellen – es ist nach dem „ersten“ Mal mit Holly:
KIT
You know what I think?
HOLLY
What?
KIT
That we should crunch our hands with this stone. That way we’d never forget what happened today.
HOLLY
But it would hurt.
KIT
Well, that’s the point, stupid.
She gives him a cold look.
HOLLY
Don’t call me stupid.
KIT
Okay, but I’m going to keep it for a souvenir …
He throws it away and picks up a smaller one.
KIT
Or maybe one that’s lighter.
Der Stein, den er zuerst nimmt, ist ziemlich groß – der Schmerz und die Selbstschädigung wäre dementsprechend gewesen. Selbstverletzung als Rettungsversuch aus einem sexuellen Desaster? Sie würde ausgegeben zugleich als „Souvenir“. Wieder ist die Logik am ehesten „patho-logisch“. Das Schmerzzeichen wird aber gleich ersetzt – durch den Stein selber – und weil dieser so schwer ist, durch einen kleineren (und wird nicht auch der noch weggeworfen?)
Die Szene, als Kit seine Ballonpost abschickt, liest sich im Script so:
EXT. FIELD
Kit releases a large red balloon into the evening sky. A small basket is fixed to the bottom of the balloon.
HOLLY (v.o.)
Kit made a solemn vow that he would always stand beside me and let nothing come between us. He wrote this out in writing, put the paper in a box with some of our little tokens and things, then sent it off in a balloon he’d found while on the garbage route. (pause) His heart was filled with longing as he watched it drift off. Something must’ve told him that we’d never live these days of happiness again, that they were gone forever.
Es erinnert an den chinesischen Brauch des Abschickens eines Ballons, der eine kleine Laterne trägt. Es geht hier wohl darum, einen Wunsch aufzuzeichnen und durch eine rituelle Handlung seiner Erfüllung näher zu bringen (oder zumindest den Wunsch selber sich zu verdeutlichen).
Die Platte, die Kit aufnimmt, nachdem er den Vater von Holly erschossen hat, ist so etwas wie eine falsche Fährte („My girl Holly and I have decided to kill ourselves .. „). Es geht mitnichten bloß um die „Faktizität der Spur“. Motivisch verbunden ist diese Szene damit, dass Kit sich Holly als jemand vorstellt der was zu sagen hat: „I got some stuff to say.“ Viel bringt er aber nicht heraus, das ist nun offensichtlich. Malick spielt auch in nostalgischer Weise mit den Möglichkeiten der Aufzeichnungs-Technik Ende der 50er Jahre.
Im Zusammenhang mit dem Motiv der Spur wäre auch zu sehen, dass Kit das Haus von Hollys Vater niederbrennt: die Löschung der Spuren des Verbrechens gelingt aber nur zum Teil – und die falsche Fährte des gemeinsamen Selbstmordes wird entlarvt (man findet nur die Knochen des Vaters in der Asche).
Als das fliehende Paar den toten Cato und seine Hütten hinter sich lässt, fahren sie an einem Autowrack am Straßenrand vorbei: „They’re probably going to blame that on me, too, bastards!“ Tatsächlich hat man Starkweather auch Verbrechen angelastet, die er nicht begangen haben kann. Es geht nicht nur um tatsächliche Spuren, sondern auch um zugeschriebene.
Die Aufnahme, die Kit mit dem Diktaphon beim Reichen Mann macht, ist ein Rollenspiel – das Ausprobieren einer Rolle. Zugleich aber wieder der nostalgische Verweis auf die Technikgeschichte. Fünfzehn Jahre vor dem Erscheinen des Films war ein derartiges Gerät wirklich einem Wohlhabenden vorbehalten. Die Aufnahme ist aber auch eine Hinterlassenschaft: Stimmaufzeichnung .. und persönliche Notiz: „Course Holly and I’ve had fun, even if it has been rushed, and … so far we’re doing fine, hadn’t got caught ..“
Wenn er dem Reichen Mann eine handgeschriebene Liste der „geborgten“ Sachen übergeben hat, meint er zu Holly:
That guy could sell that list I gave him as a sample of my handwriting.
Er ist nun überzeugt vom Wert dessen, was er an Persönlichem hinterlässt.
Im Haus des Reichen Mannes gibt er aber nicht nur etwas von sich aus der Hand (die Liste mit geborgten Dingen und die Stimmaufzeichnung), sondern versucht auch, seine Spuren zu löschen (er wischt seine Fingerabdrücke mit einem Taschentuch ab: ausgerechnet an dem Ort, wo er kein schweres Verbrechen begangen hat! Wieder eine verquere Logik).
Das Vergraben einer „Zeitkapsel“ mit Gegenständen als Spiel mit der Zeit und mit Ungewissheiten (wer bin ich selber in der Zukunft – oder was kann eine ferne Zukunft mit dem, was durch mich auf sie gekommen ist, anfangen):
Afterwards he took and buried some of our things in a bucket. He said that nobody else would know where we’d put them, and that we’d come back someday, maybe, and they’d still be sitting here, just the same, but we’d be different. And if we never got back, well, somebody might dig them up a thousand years from now and wouldn’t they wonder!
Dort, wo er sich der Polizei stellt, sammelt er Steine – im Script steht:
He scurries around collecting rocks from the shoulder as the police approach from the distance. He makes a stack of the rocks to mark the site of his capture for posterity, finishing just as the police car skids to a stop. Kit throws up his hands and walks forward to meet them. (Hervorhebung von mir)
Zu seiner Rolle, in der er sich am Schluss flüchtet, gehört, dass er als Berühmtheit Souvenirs von sich an Umstehende verteilt (Feuerzeug, Kamm).
Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
V. Freiheit, Kontingenz und christliche Ikonografie
Ein besonders schwaches Kapitel – die Worthülsen klappern gar schrecklich: Freiheit, Kontingenz (noch schlimmer: Ahnung von Kontingenz), Vorschein des Göttlichen, Malicks Welterfahrung …
1. Natur- und Landschaftsdarstellungen in Badlands
Durch die filmische Darstellung der Landschaft wird in Badlands eine Ahnung von Kontingenz vermittelt, meint Bleek, und: „Der Beziehungslosigkeit der Figuren im Raum entspricht eine Beziehungslosigkeit zwischen ihnen.“ (p. 65)
Bleek verweist darauf, dass die „Badlands“ im Film „nicht an Originalschauplätzen gedreht“ wurden (also wohl den Badlands in Montana), sondern in Colorado und South Dakota (in Anmerkung 55, p. 64), unterschlägt aber, wem sie ihre Weisheit schuldet:
Tony Reeves (Hrg.): The Worldwide Guide to Movie Locations. London, 2001 (Titan Books).
Ebenso unterschlägt sie, dass es zur Landschaftsdarstellung in Badlands ja bereits Literatur gibt, ich verweise darum auf einen Aufsatz von Ben McCann:
Ben McCann: ’Enjoying the Scenery’: Landscape and the Fetishisation of Nature in Badlands and Days of Heaven. In:Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick: Poetic Visions of America. London, 2003, (Wallflower Press), p. 75-85.
Im dritten Teil ihrer Dissertation kommt Bleek noch einmal auf das Thema zurück, dem sie hier sogar ein größeres Kapitel widmet:
3. Natur und Welt in Malicks Filmen (p. 173 ff.)
Sie versucht hier, sich Malick von der Terminologie Heideggers her zu nähern: „Physis“, „Modus der Erde“, das „Erdhafte“ .. aber was herauskommt sind doch wieder Bleek-Sätze:
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle zum Film Badlands sagen: Das Besondere ist die Betonung von Natur und Landschaften. (p. 178)
Hier noch meine Notizen zum Thema:
Das Naturhafte spielt in Badlands gleich zu Beginn herein ins (Vor-)Städtische: als Insektengesumm und Vogellaut – und in der Weite der Landschaften der Great Plains (im letzten Drittel des Films) ist häufig ein Bezug da zum Zivilisatorischen der „Großstadt“ oder der Zivilisation (als Stomleitung, Pipeline, Raffinerie, vorbei fahrender Zug – oder auch nur Tankstelle etc.).
Zunächst treffen unsere Protagonisten im Bereich des mittelständischen Vorgartens aufeinander, im Nahbereich eines Baumes – es ist ein Mini-Eden. In einem anderen Garten (hinter dem Haus des „Reichen Mannes“) wird Holly später ihrer Isolation gewahr.
Hier schon bemerken wir, dass Umgebung für beide Figuren etwas bedeuten kann, oder vor allem für eine.
Wenn Holly mit Kit unter einem Baum sitzt und Karten spielt, ist sie es, die bemerkt, dass der Ort seine Schönheit hat – er hebt kaum den Blick, sie aber möchte die Blumen bewahren .. in seiner Beiläufigkeit noch ein symbolisch aufgeladener Diskurs der Jungfrau, die hier ihren locus amoenus findet. Dieser Ort ist die erste Gelegenheit für eine Figur, das Ästhetische der Umgebung zu verbalisieren.
Unter einem Baum hat dann das Paar seinen ersten (und vielleicht einzigen) Sex – auch wenn es nicht besonders war, wie wir zu verstehen glauben.
Von hier sieht man im Hintergrund eine Brücke – und genau von dieser wirft, verpackt in eine Plane, der Vater Hollys den Hund, den er erschossen hat, weil seine Tochter sich seinem Verbot widersetzt hat. Der Hund wird getötet in einer Wiese – und ihren kranken Fisch wirft Holly direkt in ein Melonenbeet hinter dem Haus. Tiertod im Pflanzenwachstum gleichsam – und Wasserbestattung.
Ein höchst eigenartiger Fluchtraum ist die Landschaft des Flusswaldes, erste Station für das Paar nach der Ermordung von Hollys Vater. Sie bauen sich hier mit steinzeitlichem Werkzeug ein Baumhaus – und lösen damit literarische Muster ein (Die Höhlenkinder, Der Schweizerische Robinson). Das Haus ist ein Ersatz für den Raum, den ihnen der Vater nicht gegeben hat – und funktioniert zugleich wie eine Falle für ihre Verfolger, die auch bald zur Stelle sind. Die Naturwahrnehmung und Naturbegeisterung Hollys wird nicht unironisch gezeigt durch Überbetonung des pittoresken Details und des deplatzierten Tieres (ein Lama in South Dakota).
Bei Cato ist man auf dem Lande und isst unter freiem Himmel – aber was idyllisch sein könnte, ist in eine „tödliche“ Spannung eingebettet (nach der Ermordung der Kopfgeldjäger wird nun auch Cato angeschossen und stirbt – ob auch das junge Paar, auf das Kit schießt, tot ist, erfahren wir nicht). Das „gemeinsame“ Zurücklaufen des Paares zum Haus (bei heraufziehendem Gewitter) ist deutliches Bild für die Schieflage ihrer Beziehung: Kit will ihre Hand nehmen – aber sie übersieht seine Geste – und so laufen sie nicht Hand in Hand, sondern jeder für sich.
Der Garten des Reichen Mannes ist ein Zeichen mehr seines Wohlstandes und wird zum Ort des Innehaltens für Holly. Stärker als sonst je ist sie hier „für sich“ – und zugleich abgetrennt von der Welt.
In den Great Plains spielt sich das letzte Drittel des Films ab. Ausdrücklich fordert Kit seine Freundin auf: „enjoy the scene“ – und sie tut es auch. Im Script heißt die Umgebung immer wieder „Badlands“, was auch seine Richtigkeit haben mag, weil sie für die Landwirtschaft untauglich ist – aber die schon in der Exposition genannten Badlands von Montana sind es nicht – zu ihnen kommt das Paar nie. Holly hat oft eine Karte zur Hand und erklärt auch manchmal die Gegend – aber die topographischen Hinweise zeigen vor allem, dass sie sich nicht zurechtfindet. Auch Kit hofft allzu vage in einem Jenseits der Grenze und einem Norden den möglichen Ort einer Zuflucht (und glaubt tatsächlich, bei den „Mounties“, also der kanadischen berittenen Polizei, einen Job zu finden). Lächerlich ist auch die Zielrichtung auf die „mountains of Saskatchewan“, denn Saskatchewan ist ja die fast berglose kanadische Prairie. Auch wenn Holly zugleich die Lichter von Cheyenne und die Fackeln der Raffinerien von Missoula zu sehen vermeint (beide Ort liegen an die 1000 km auseinander) oder Cheyenne mit knapp 40000 Einwohnern um 1960 für die größte Stadt hält, die sie je gesehen hat (obwohl Rapid City in South Dakota zumindest ebenso groß ist), zeigt das eher den Bildungsstand der Schülerin an als sonst etwas. Die sogenannten Badlands werden so zum Ort der Isolierung von der Zivilisation, zum Fluchtraum mit einem wünschbaren Jenseits: den Bergen, die langsam näher kommen, ohne dass unser Paar dort ankommen wird. Die „Badlands“ sind unwirtlich – und Holly leidet auch darunter (dass man sie einmal wirklich auch hier mit Lockenwicklern sieht, gehört auf die ironische Seite), aber Kit scheint sich wohl zu fühlen und auch zurecht zu kommen. Er rammt mit dem Auto eine Kuh (erzählt Holly) – und dann braten sie Fleisch. Er zapft lecke Pipelines an und gewinnt so Treibstoff – oder sie essen einfach wie das Rindvieh „Salzgraß“, das hier wächst. Woher ganz einfach das Wasser kommt, erfahren wir nicht. Ihr Ausgesetztsein hat zwei besonders dichte Momente: den Mondaufgang in den Plains – und den nächtlichen Tanz im Scheinwerferlicht des Cadillacs (zum Song von Nat King Cole). Die Sequenz mit dem Mondaufgang ist durch die Musikuntermalung (Eric Satie) mit der Szene im Garten des Reichen Mannes in Beziehung gebracht, wo Holly sich von der Welt abgetrennt fühlt. Nun teilt sie sich Kit mit – zunächst ohne gehört zu werden: „We lived in utter loneliness, neither here nor there. Kit said that solitude was a better word, cause it meant more exactly what I wanted to say. Whatever the expression, I told him we couldn’t go on living this way.“ Es ist dick aufgetragene Bildästhetik, die wir zu sehen bekommen – und viele Kritiker sind beeindruckt von den Bildern der farbenprächtigen amerikanischen Weite, in der auf wundersame Weise sich mancherlei Getier zum Fotoshooting eingefunden hat (ausgestopft oder nicht). In der Ferne lichtert ein Blitz durch dramatische Wolken, der Vollmond geht auf – es ist alles auf dem Punkt. Aber was ist all das? Es ist „loneliness“ oder „solitude“ – es ist .. der locus terribilis .. Gegenort zum locus amoenus, wo so lieblich die Blumen blühten. Es ist für Holly letztlich ein schrecklicher Ort – für Kit aber ein Ort des Innehaltens (was er ästhetisch wahrnehmen kann, erfahren wir nicht) – und für uns ein schrecklich schöner Ort. Mir ist die Walt-Disney-Qualität der Bilder (True Life Adventures – The Living Desert) – oder eben das Nachfotografieren von National Geographic nicht ganz geheuer. Aber hier kommt eben alles zusammen – die unerträgliche Schönheit der mythischen Bilder und das Auseinanderdriften der Figuren, das im nächtlichen Tanz (zu Radiomusik) noch einmal für kurze Zeit aufgehoben scheint.
2. Die christliche Ikonografie
„Die Einarbeitung christlicher Elemente in die Bilder“ wird sichtbar (p. 65) – ja, aber was fangen wir an mit den „christlichen Elementen“, die da vorkommen?
a. Gemälde
Während die rote Farbe des Sofas Assoziationen an das blutige Hemd ihres toten Vaters weckt, welches kurz zuvor zu sehen war, als Holly sich bestürzt zu ihm hinunterbeugte, erinnert das Deckchen in Farbe und Form an die Lilien des Engels. (p. 66)
Was hier wie die Schwundstufe einer Bildbetrachtung aussieht (rot assoziiert zu Blut, ein Deckchen zu einer Lilie), führt zu einem allgemeinen Problem in der Interpretation des Werks von Malick: Es spricht tatsächlich durch eine Vielfalt an Ähnlichkeiten, struktureller Muster, Anklänge an – ohne dass es sogleich in „Sinn“ überzuführen ist. Das heißt, es gibt ein Überangebot an „Struktur“ .. und es ist ja auch schon was, wenn man dieses Überangebot beschreibt.
b. Kleidung
Als Kit und Holly das Haus des Reichen Mannes verlassen, „verkleiden“ sich beide, ohne dass das weiter erklärt wird. Holly trägt ein Tuch auf dem Kopf, das auf die Schultern herunterhängt – sieht tatsächlich marienhaft aus. Kit aber hat sich einen Hut und eine Jacke vom Reichen Mann „geborgt“ und trägt zunächst beides, den Hut noch (bzw. wieder) als er festgenommen wird. Sein Hut ist mindestens ebenso signifikant, wie Hollys Kopfbedeckung – aber die Konzentration auf „christliche Ikonografie“ verstellt Bleek den Blick darauf.
c. Bilder des Himmels
Sehr ausführlich, fast schon „wissenschaftlich“, wie hier „systematisiert“ wird!
Einführung des Motivs
Was hat es mit dem „Rekurs auf das Motiv des Himmels“ auf sich?
Er funktioniert auf zwei Ebenen: einmal als eine Art Gefühlsbild, welches das Innere der Figuren ins Äußere spiegelt, dann als Vorschein des Göttlichen im Endlichen. (p. 68)
Ich finde, man braucht solche Sätze nicht mehr zu kommentieren – sie sprechen für sich. Und man muss das nicht lächerlich finden, auch wenn das beim „Vorschein des Göttlichen im Endlichen“ naheliegend ist. Es ist nicht lächerlich, Bleek meint es einfach so.
Einsatz des Himmels als spiegelndes Gefühlsbild
Dieser Typus von Himmelsbildern dient weniger der Darstellung von Gefühlen der Figuren als einer Stellungnahme des Films zu diesen Gefühlen. (p. 69)
Steht das auch schon so bei Delius? (Vgl. F.C. Delius: Der Held und sein Wetter. Ein Kunstmittel und sein ideologischer Gebrauch im Roman des bürgerlichen Realismus. 178 Seiten, Carl Hanser Verlag, München 1971)
Ich glaube, Bleek ist doch eine Finesse gelungen, die über den guten alten Delius hinausgeht!
Einsatz des Himmels und die Idee der Transzendenz
Wenn Kit das Gewehr auf seine Schultern quergelegt hat und die Arme darüber hängt, ist das klarerweise vor allem ein Bildzitat mit Verweis auf James Dean und den Film Giants. Darüber hinaus sieht Kit hier einer Vogelscheuche ziemlich ähnlich – vor allem von hinten. Wenn man hier schon an „Kreuzigung“ und „Christologisches“ denken will, sollte man unterscheiden, dass nicht Jesus, sondern die Schächer so gekreuzigt dargestellt werden (mit den Ellbogen an den Balken gebunden).
Das Motiv des Himmels und die Verwendung von Musik
Verweis auf die Musik, die eingespielt wird, wenn Holly sich ergibt und mit dem Hubschrauber weggebracht wird: „Mariae Geburt“ von Carl Orff (aus dem Schulwerk?)
Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
VI. Das Gewicht der Welt (p. 72-79)
Am Schluss des Films sind beide Hauptfiguren in Polizeigewahrsam und in ihrer Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt (gefesselt, unter Aufsicht). So ist der Ablauf des Geschehens stärker als je zuvor auf die soziale Umgebung verwiesen. Letztlich werden beide mit dem Flugzeug nach South Dakota zurückgebracht und vor Gericht gestellt. Aus Hollys Erzählung erfahren wir, dass Kit verurteilt und hingerichtet wird, während sie selbst mit einer bedingten Strafe davon kommt und den Sohn ihres Anwalts heiratet.
Woran liegt es? In knappen Sätzen beschreibt Bleek die Bilder, den Ton, die Erzählung Hollys und die Musik. Als hätte sie etwas vom Lakonischen des Film übernommen. Die Parataxe liegt ihr mehr als der Schachtelsatz. Es hat etwas Versöhnliches für mich – nach so viel Krampf in vielen Details! Aber dann freilich auch wieder die unvermeidlichen Bleeksätze, die geborgten Phrasen vom „Gewicht der Welt“, die völlige Verkennung.
1. Inhalt der Schlusssequenz (p. 72)
Nachdem, während, dazwischen, parallel zu, als – die die meisten Sätze sind zweiteilig. Auch nicht schlecht! Dazwischen herrlich einfache Sätze:
„Eskortiert von Dutzenden von Staatsbeamten läuft das Paar zur Startbahn.“
„Holly lächelt.“
2. Die verschiedenen Welten
a. Die Welt der Staatsmacht und Kit
Aufmerksam beschreibt Bleek die einzelnen Bilder der Schlusssequenz, dann wird doch wieder eine Interpretation übergestülpt:
.. der Eindruck (…), dass bei aller Dramatik der Vorgänge im Zentrum das Leben ungerührt weiter seinen gewohnten Gang geht. (p. 74, Auslassung von mir)
b. Hollys Welt und Kit
Indirekte Rede und eine einwandfreie Feststellung:
Kit redet Holly gut zu. Sie solle sich keine Sorgen machen, er werde sie vor Gericht entlasten. Es gebe noch viele nette Jungs. Das Leben liege noch vor ihr. Kits Gesicht in einer Nahaufnahme (Abb. 85) wird gegengeschnitten mit einer halbnahen Einstellung von Hollys Gesicht (Abb. 86). (p. 74)
c. Die Welt der Gesellschaft und Kit
Weiterhin wird das Gewicht der sozialen Welt spürbar gemacht durch die Art, wie die Gesellschaft ins Bild rückt. (p. 75)
Phrase plus Bildlichkeit – es beginnt etwas zu verschwimmen.
3. Besonderheiten der Inszenierung von Kits Ende
a. Einsatz der Musik und Schlussbilder
Meine Lieblingsparataxen:
Das Metall der Radkappen und Längsverstrebungen schimmert rosa im Abendlicht, der Asphalt ist in rötliches Licht getaucht. Die Reifen wölben sich leicht unter der Last. Das weiche Material gibt dem Druck nach. (p. 76)
Solche Prosa darf man loben – leider kommt dann sogleich wieder ein Satz, in dem unnötigerweise die Beobachtung in ein Gefühl übergeführt wird:
Ein Gefühl von Nachgeben und Weichheit wird vemittelt, aber auch von Nachdrücklichkeit und Abgeschlossenheit. (p. 76)
b. Einsatz der Stimme Hollys im Off
Klang und Rhythmus verbinden sich nahtlos mit der Musik (p. 76)
Natürlich steht nicht nur dieser schöne Satz in diesem Unterkapitel – aber dass noch die kleinsten Beobachtungen kapitelmäßig aufgemotzt werden liest sich fast wie eine Wissenschaftsparodie. War sie so gemeint? Gleichviel – wir dürfen uns nicht ärgen, sondern bleiben heiter.
c. Kits Isolation in seiner Welt
Wie gesagt: auch hier die Isolation kleinster Sinnzusammenhänge in einer pseudowissenschaftlichen Gliederung.
4. Das Gewicht der Welt
Das Gewicht der Welt und die sie durchdringende Kontingenz werden wahrnehmbar durch das Ende der männlichen Figur. Es geht um das Schicksal von Kit; es geht um die Frage, wo die Instanz ist, die dieses Leben so zu Ende gebracht hat. Die Staatsmacht beantwortet nicht die Frage, wer eigentlich das Schicksal der Figuren lenkt. Und auch eine göttliche lenkende Macht ist nicht erkennbar. Kit erscheint als jemand, der der Welt abhanden gekommen ist, ohne dass es dafür eine Erklärung gäbe. (p. 79)
Diese Massierung von Phrase, Worthülsen und Unsinn ist schwer erträglich für mich. Wo nimmt Bleek denn auf einmal diese Frage nach dem „Schicksal“ von Kit her? Wieso ist es so rätselhaft, dass er, der zum Tode verurteilt wird, der Welt abhanden kommt? Ein Serienmörder stellt sich, wird verurteilt und hingerichtet – das ist kein unerklärlicher Zusammenhang.
Eigentlich schade, dass die teilweise genaue Beobachtung einzelner Filmsequenzen letztlich nicht zu einer erst zu nehmenden Interpretation führt.